Trio con Brio in Darmstadt

Das Trio con Brio aus Kopenhagen, das im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt zu Gast war, besteht aus den beiden in Korea geborenen Schwestern Soo-Kyung Hong (Cello) und Soo-Jin Hong (Violine), sowie dem Pianisten Jens Elvekjaer, der mit der Geigerin verheiratet ist. Das Besondere dieser kollektiven Persönlichkeit erschloss sich in Haydns Klaviertrio Nr. 44, das zum Einspielen diente, noch nicht so recht, zumal das Klavier darin von den Streichen eher flankiert als herausgefordert wird.

Charles Ives

Dem folgte das erfrischende Trio für Violine, Violoncello und Klavier von Charles Ives (1874 -1954). Der Yale-Absolvent gilt als Pionier einer von europäischen Vorbildern befreiten amerikanischen Musik. Dieses Trio erinnerte an ein Experiment seines Vaters, der Armee-Kapellmeister war: Er ließ mehrere Musikgruppen auf ein gemeinsames Zentrum zumarschieren, wobei sei völlig verschiedene Stücke spielten. Auch im Trio des Sohnes spielt jede Stimme etwas anderes. Doch es wirkt aufeinander bezogen: Kontrapunkt vom Feinsten.

Hermann von Helmholtz

Zu Ives‘ „Vatermilch“ gehörten Werke von Johann Sebastian Bach und darüber hinaus die „Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik“ von Hermann von Helmholtz (1821-1894). Dem Physiker und Arzt hatte das Ensemble Modern im vergangenen Jahr ein Portrait-Konzert zum zweihundertsten Geburtstag gewidmet. Auf der Pressekonferenz dazu sagte Günther Wess, Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums München, mit dieser Schrift ließe sich erklären, warum zeitgenössische Musik oft nicht gemocht wird: „Neue“ Musik packt bisweilen Klänge zusammen, die sich in höheren Obertonbereichen dermaßen unangenehm aneinander reiben, dass so mancher Hörer sich innerlich verschließt. Mit Helmhotz‘ Lehre, die vor allem eine Intonationslehre ist, hat Ives sich beschäftigt und die beiden Streicherinnen wohl auch. Denn bei aller Disparatheit der Themen spürte man eine souveräne harmonische Einheit. Zugleich glaubte man in dieser Interpretation Charles Ives vor sich zu sehen, wie er die meisten seiner Mitmenschen unabhängig von ihrem Alter und Geschlecht als „nette alte Damen“ verspottete. (Anzufügen, dass „nett“ für ihn ein Schimpfwort war, ist wohl überflüssig.)

Trio con Brio und Trios im Trio

In Ludwig van Beethovens Klaviertrio B-Dur op. 97 spürte man eine klare Allianz der beiden Koreanerinnen gegenüber dem bisweilen überaus empfindsamen Wikinger, der sich seinerseits stark genug zeigte, um die Herausforderung der Opposition zu genießen, die mächtig aufwallen, sich aber auch aufs Magnetischste zurücknehmen konnte. Im zweiten Satz, dem fünfteiligen Scherzo, gestaltete Cellistin Soo-Kyung Hong das Fugato-Thema im ersten „Trio“ überschriebenen Binnenteil zu einer eigenen, fesselnd erzählten, tiefgründigen Geschichte. Im zweiten „Trio“ innerhalb dieses Scherzo-Satzes, einem Wiener Walzer, wurde spürbar, dass das Trio con Brio sich 1999 an der Wiener Musikhochschule zusammengefunden hat. Im Finalsatz schien der Notentext gegen den Strich gebürstet, um andere Facetten als die gängigen zum Leuchten zu bringen.

Die wahrhaftig bezaubernde Zugabe war der dritte Satz aus Dvořáks Dumky-Trio.

DORIS KÖSTERKE
13.1.2021

Gespräch mit dem Schlagzeuger Moritz Koch

Frankfurt/Köln. „Sobald ich sage, wo ich meinen Master gemacht habe, öffnen sich Türen“, sagt Moritz Koch. Der 1997 geborene Schlagzeuger war 2020/21 Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) und hat diesen Studiengang an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst mit der Bestnote abgeschlossen. Nun setzt er an der Kölner Musikhochschule noch ein Solistenstudium bei Dirk Rothbrust und Carlos Tarcha drauf. Parallel arbeitet er mit verschiedenen freien Ensembles in vielen freien Projekten …weiterlesen

Ausblick auf das Festival cresc… 2022

FRANKFURT. „MeWe“ ist cresc… 2022 überschrieben. Das Festival für aktuelle Musik soll an fünf Festivaltagen zwischen dem 25. Februar und dem 5. März 2022 in Frankfurt, Darmstadt und Offenbach stattfinden. Das Motto stammt aus dem wohl kürzesten Gedicht der Welt: „Me We“. Gedichtet hat es Muhammad Ali (1942-2016), der Boxer wurde, weil man ihn als Menschenrechtsaktivist zunächst nicht erhören wollte. …weiterlesen

Patrick Lange dirigiert Lindberg und Weill

 

WIESBADEN. Im jüngsten Sinfoniekonzert „WIR3“ des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden im Friedrich-von-Thiersch-Saal stammte eins von zwei Werken aus dem zwanzigsten, das andere aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Der Beifall war jeweils überaus lang und herzlich. Zweifellos galt er der Person des dem Intendanten entflohenen Generalmusikdirektors Patrick Lange. Sicher auch dem Orchester, das höchst solidarisch und engagiert mit ihm zusammenarbeitete. Aber wohl auch den Werken. …weiterlesen

Daniel Hope, Simon Crawford-Phillips

 

 

WIESBADEN. Im Konzert von Daniel Hope beim Rheingau Musik Festival spürte man, dass der Horizont des kommunikativen Stargeigers und Menuhin-Schülers zu groß ist, um sich an Details festzubeißen. Gemeinsam mit Simon Crawford-Phillips, dem langjährigen Klavier-Duo-Partner von Gerald Moore, ließ er im Friedrich-von-Thiersch-Saal die „Belle Èpoche“ wieder aufleben.

Die Programmgestaltung hatte einen klaren Zielpunkt, die Sonate für Violine und Klavier A-Dur von César Franck. Das 1886 geschriebene Werk gilt als das Beste, das je für Violine und Klavier geschrieben wurde. Gleichsam als „Vorspiele“ dazu erklangen fünf Miniaturen. Als Erste die Erste Sonate für Violine und Klavier in einem Satz von Maurice Ravel. Also nicht „die“ Violinsonate aus Ravels reifen Jahren 1923–1927. Sondern die, die er 1897 geschrieben hatte, als er, nach geschmissenem Klavierstudium und zweijähriger Pause, als Kompositionsstudent an das Pariser Conservatoire national supérieur zurückgekehrt war. Laut der launigen Moderation von Daniel Hope – der in Südafrika Geborene hat unter anderem deutsch-irische Wurzeln und spricht akzentfrei Deutsch – hielt Ravel es in der Schublade verborgen, obwohl Debussy davon begeistert war und ihm gesagt hatte, er solle bloß keinen einzigen Ton ändern. Erst nach Ravels Tod wurde das Werk veröffentlicht. Im Konzert hatte man den Eindruck, dass die beiden Musiker es mehr referierten, als dass sie es ausgelotet hätten. Anders ausgedrückt: Sie machten aufmerksam auf dieses Frühwerk mit den beiden gleichberechtigten Schichten, dessen Komponist später über sich sagte „ich bin Anarchist“.

Als weitere Kuriosität folgte das „Stück für Violine und Klavier d-Moll“ des 17-jährigen, derzeit noch als Bankangestellter arbeitenden Arnold Schönberg. Um zu zeigen, wie eng der spätere Bürgerschreck noch im Unterhaltung-Idiom seiner Zeit wurzelte, ließen die beiden Musiker fast nahtlos das „Liebesleid“ von Fritz Kreisler folgen. In Schönbergs Irreleiten der Erwartungshaltung im verlängerten Nachsatz meinte man allerdings bereits den späteren Zeitkritiker zu spüren, der, höchst aktuell, gegen den „Komfort als Weltanschauung“ wetterte.

Als in England Aufgewachsene fügten die beiden Musiker noch drei Miniaturen von Edward Elgar ein: Chanson de Nuit, Chanson de Matin (beide op. 15) und Salut d’Amour op.12. Dann folgte die Sonate von Cesar Franck. Das Vorangegangene war interessant, diese Sonate war „gelebt“, mit alle ihren Sehnsüchten und Abgründen der „Belle Èpoche“, die Hope mit der unseren verglich als Zeit „voller Spannung und Sinnlichkeit“ und „voller Um- und Aufbruch“, voll explodierender Möglichkeiten, aber auch voller Verlierer und revoltierender Mahner.

Ein Impromptu von Yehudi Menuhins Lehrer George Enescu war die erste Zugabe von dessen „Enkelschüler“. Die zweite Zugabe kündigte Hope dezidiert als „letztes Stück des Abends“ an: eine gegenüber den spätromantischen Vorgängern und allen Kitsch-Versionen deutlich verschlankte Geigenversion von Schuberts „Ave Maria“ vermittelte es eine Spiritualität, die über konfessionelle Grenzen erhaben ist.

Doris Kösterke
1.9.2021

Czech Ensemble Baroque mit Andreas Scholl

Andreas Scholl und Tamar Halperin beim Rheingau Musik Festival

 

WIESBADEN. Ein Konzert mit Andreas Scholl darf beim Rheingau Musik Festival nicht fehlen. Corona-bedingt waren es in diesem Jahr zwei Konzerte hintereinander am gleichen Abend – eine Herausforderung, die auch an routinierten Profi-Musikern nicht spurlos vorübergeht. Auch nicht, wenn man sie teilt, wie Andreas Scholl an diesem Abend in der Lutherkirche mit der Cembalistin Tamar Halperin und dem Czech Ensemble Baroque unter der Leitung von Roman Válek.

In Corellis Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 4 nahm das Ensemble mit einer bei aller Leichtigkeit weichen und warmen Tongebung für sich ein. Reiche dynamische Schattierungen und fein ziselierte Phrasierungen zeigten die vorwiegend jungen Musiker auf einem guten Weg mit vielen Möglichkeiten für eine konsequente Weiterentwicklung. Ein Wegweiser könnte das Ensemble „Le Concert Spirituel“ sein. Es hat in diesem Festivalsommer gezeigt, wie ein Mehr an Detailarbeit auch mehr Energetik erschließen und der Musik ungemein zuträglich sein kann.

In Bachs enorm ausdrucksstarken Ersten Cembalokonzert BWV 1052 ging das Cembalo nahezu unter. Um dem alles andere als klangstarken Instrument entgegenzukommen, hätten die Streicher nahe der Hörschwelle fiedeln müssen. Alternativ hätte man die Anzahl der Spieler reduzieren können. Damit hätte man auf die Concertino-Tutti-Wirkungen verzichten müssen. Sie stehen zwar nicht explizit im Notentext, entsprechen aber wohl der Aufführungspraxis und machten sich gut, sofern man seinen Hörwinkel auf das Orchester begrenzte. Vor allem jedoch spielte Tamar Halperin buchstäblich im Schatten des Dirigenten. Man fragte sich, warum nicht sie als Solistin die Leitung des Orchesters übernommen hatte. Indem sie sich ihm unterordnete, beschnitt sie ihre Entfaltungsmöglichkeiten. Wo sie dem Geschehen tatsächlich Impulse gab, gingen sie auf dem Umweg über den Dirigenten verloren. Andererseits schien das Orchester auf seinen Dirigenten eingeschworen. Denn im Mittelsatz, dessen Beginn er nicht dirigierte, klapperte das Tempo. Insgesamt blieb die Aufführung hinter den Möglichkeiten zurück, die das Werk hergibt und die man der Solistin unbedingt zugetraut hätte.

Die Karriere von Andreas Scholl hat längst eine Eigendynamik entwickelt: man mag ihn zu sehr, um an seine Interpretation etwa der Bachkantate „Ich habe genug“ BWV 82 die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie bei manchem Neuling. In Händels Arie „Se parla nel mio cor“ aus der Oper Giustino war er spürbar mehr in seinem Element. Und in der Zugabe, ebenfalls von Händel, hörte man das bezaubernde Timbre, dem er seinen Weltruhm verdankt: aus den Randschwingungen der Stimmlippen aufblühend und durch die Poren der Haut in ein Innerstes dringend, das allzu oft unberührt bleibt.

DORIS KÖSTERKE