Rudolf Buchbinder und sein „Diabelli Project“

FRANKFURT. Rudolf Buchbinder überzeugte als Gast von „Pro Arte“ im Großen Saal der Alten Oper mit seinem auf mehreren Ebenen durchdachten „Diabelli Project“. Nach eigenen Worten sind Beethovens „Diabelli-Variationen“ sein „Lebens-Leitmotiv“. Sie entstanden, als der Wiener Verleger Anton Diabelli (1781-1858) „vaterländische“ Tonkünstler aufgerufen hatte, Variationen über einen von ihm komponierten Walzer zu schreiben, um sie zu verlegen, auf dass sie in möglichst vielen Bildungsbürgerhaushalten gespielt würden. Eine clevere Idee, die auch unbeachteten Komponisten ein Bekanntwerden versprach. Beethoven durchkreuzte sie einerseits durch den Umfang von 33 Variationen. Dafür musste Diabelli einen eigenen Band (von zweien) auflegen. Zum anderen war sein Werk auch für fleißig Übende nicht spielbar. Darüber hinaus taugten sie, als schonungsloses Fragen, kaum der Zerstreuung.

Neue Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli

Buchbinder variierte Diabellis Idee, indem er mit internationaler Unterstützung elf Komponisten der Gegenwart bat, neue „Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli“ (2020) zu schreiben. An diesem Abend wirkten sie wie eine Hinführung zu Beethovens op. 120. Denn sie schienen weniger Diabellis Vorlage zu thematisieren (Buchbinder hatte sie mit betont wenig pianistischer Wertschätzung vorgestellt), als Beethovens Reibung daran. Etwa mit auffällig vielen geradlinigen Prozessen und vielem Fragen.

„Diabellical Waltz“ der 1973 im Ural geborenen New Yorkerin Lera Auerbach arbeitete sich aus höllischen Tiefen zu eiswürfelartiger Klarheit hervor. „Variation for Rudi” des 1961 geborenen Australiers Brett Dean würdigte Beethovens „Swing“. „Verlust” hatte Toshio Hosokawa (*1955) sein nachdenkliches Fragen überschrieben. Eher extrovertiert wirkte „Rock it, Rudi!“ von Christian Jost (*1963). „Variation for R.B.“ von Brad Lubman (*1962) führte im Dialog aus Dissonanzen. Mit einem geradlinigen Aufwärtsstreben begann „Zwei Jahrhunderte später“ von Philippe Manoury (*1952). Ein intimes und nachdenkliches Fragen berührte in „Diabelli“ von Max Richter (*1966). Kreiselnde Figuren prägten „Variation on a theme by Anton Diabelli” von Rodion Shchedrin (*1932). „Eigensinnig“ wollte Johannes Maria Staud (*1974) sein “A propos…de Diabelli“. Eine große Eruption war „Blue Orchid“ von Tan Dun (*1957), während Jörg Widmann (*1973), Beethovens volkstümliche Ader würdigend, seine „Diabelli-Variation“ mit Radetzky-Marsch-Anklängen gewürzt hatte.

Diabellis Sammlung „Vaterländischer Künstlerverein“ (1824)

Als teils vergnügliches Zwischenspiel erklang eine Auswahl aus dem Zweiten Band von Diabellis Sammlung „Vaterländischer Künstlerverein“ (1824), in der neben Czerny, Liszt und Schubert auch der im Todesjahr seines Vaters geborene Franz Xaver Wolfgang Mozart vertreten war. Auf Schubert rekurrierte die einzige Zugabe, die Buchbinder nach dem Vorstellen von seinem „Lebens-Leitmotiv“, dessen Ansprache tiefer persönlicher Schichten spürbar Resonanz fand, noch gewährte.

DORIS KÖSTERKE
22.11.2021