Künstlern begegnen

 

Künstler wird man nicht, weil man
ebenso gern Jura studiert oder eine Banklehre gemacht hätte,
um dann in seiner Freizeit ein bisschen zu malen, zu basteln und Musik zu machen.
Künstler wird man, weil man „da“ nicht mitmachen will.

Worin dieses „da“ besteht, stellt sich erst heraus, wenn es über Jahre hinweg zur täglichen Frage wird,
warum man ein Herumkrebsen am Existenzminimum diesem „da“ vorzieht.

Gegenüber diesem „da“
gibt es keine Unterschiede
zwischen Malerei, Plastik, Musik, Tanz, Theater, usw.

Es gibt nur „Kunst“, die sich mit dem „da“ auseinandersetzt.

 

 

Diesen Ansatz habe ich 1992 für mich formuliert. Zwischenzeitlich hatte ich die Formulierung vergessen und beim Wiederfinden gestaunt, dass ich diesen Ansatz bis heute im Hinterkopf trage, wenn ich mich im weitesten Sinne mit Kunst und Künstlern beschäftige.

 

Ich suche.
Nach umweltverträglicheren Arten zu leben.
Nach erfreulicheren Formen des Miteinanders.
Nach Werten.
Nach Freude am Leben, um rechtzeitig sterben zu können.

Brauchbare Antworten habe ich am ehesten im Begegnen mit Künstlern gefunden.
Künstler, die sich in ihrer Kunst diese oder vergleichbare Fragen nicht stellen, interessieren mich allenfalls dann, wenn sie trotzdem Antworten geben.

Diese Rubrik würdigt Menschen, die mich beeindruckt und ein Stück weit geprägt haben.
Allen voran war das John Cage, dem ich eine eigene Kategorie im Hauptmenü gewidmet habe:
Acht Jahre meines Lebens habe ich der Beschäftigung mit seinen Gedanken gewidmet:
Um zu erkennen, dass er der bahnbrechendste und richtungsweisendste Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts war, muss man sich mehr mit ihm selbst und seinen Gedanken beschäftigen, als mit den Vorurteilen über ihn.

Viele Jahre habe ich gebraucht, um mir einzugestehen, dass auch ich voller Vorurteile bin.
Mein Bild von Brian Ferneyhough, zum Beispiel, war geprägt durch den markigen Ausspruch eines Flötisten:
„Wenn Ferneyhough Probleme hat, soll er zum Psychiater gehen. Ich als Interpret bin dafür nicht zuständig!“.
Das Vorurteil hat sich gehalten, über viele erlebte Aufführungen von vielen Interpreten. Bis ich Ferneyhough selbst begegnet bin.

Ein wirkliches Begegnen mit Künstlern, mit Menschen, die „anders“ sind, ist das große Privileg meines Berufes.
Materiell nährt mein Beruf mich nicht. Aber ohne diese Anregungen würde ich geistig verhungern.

Nicht immer besteht zeitnah die Möglichkeit, über eine Begegnung zu schreiben.
Folglich besagt die hier zur Verfügung gestellte Auswahl keineswegs, dass es nicht noch mehr Künstler im emphatischen Sinne des Wortes gäbe.
Ich will, dass es immer mehr werden. – Auf dieser Seite, wie im Rest der Welt!