Kann man mit Kunst die Welt verbessern?

Künstler wird man nicht, weil man ebenso gern Jura studiert oder eine Banklehre gemacht hätte, um dann in seiner Freizeit ein bisschen zu malen, zu basteln und Musik zu machen. Künstler wird man, weil man „da“ nicht mitmachen will. Worin dieses „da“ besteht, stellt sich erst heraus, wenn es über Jahre hinweg zur täglichen Frage wird, warum man ein Herumkrebsen am Existenzminimum diesem „da“ vorzieht. Gegenüber diesem „da“ gibt es keine Unterschiede zwischen Malerei, Plastik, Musik, Tanz, Theater, usw. Es gibt nur „Kunst“, die sich mit dem „da“ auseinandersetzt.   Doris Kösterke, 1992.

 

 

Wieso Kunst? Kann man mit Kunst die Welt verbessern?

 

 

 

 

Die folgenden Zitate wurden auf Papiertüten gedruckt.

In diese Tüten wurde der Sand abgefüllt, der sich im Foyer der Fachhochschule Wiesbaden befand.

Der Sand war gestiftet von „Bilfinger & Berger“.

In diesem Sand hatten Erika Enders und Hilla Steinert zuvor eine Performance vollführt. 

Das Konzept stammte von mir.

Außerdem waren beteiligt:
das Wiesbadener Improvsisations Ensemble WIE?!,
bestehend aus Dirk Marwedel (Erweitertes Saxophon),
Ulrich Phillipp (Kontrabass) und
Wolfgang Schliemann (Perkussion),
sowie die bildende Künstlerin Katja Kölle.

  Die vom „Forum zeitgenössischer Künste e.V.“
getragene Veranstaltung hat am 18. September 1992 stattgefunden.

Das ist lange her.
Aber ich finde die Zitate immer noch gut.

Weil es sich um Papiertüten handelte und nicht um eine wissenschaftliche Arbeit, sind nicht alle Quellen genau angegeben.
Ich habe vor, das demnächst nachzuholen.

 

Dada

Ein Schlüsselgedanke für die Kulturkritik der Dadaisten erwuchs aus der Tatsache, dass die Gründungsväter der Bewegung alle nach Zürich gekommen waren, um dem Ersten Weltkrieg zu entfliehen.

 

„Wir hatten alle keinen Sinn für den Mut, der dazu gehört, sich für die Idee einer Nation totschießen zu lassen, die im besten Fall eine Interessengemeinschaft von Fellhändlern und Lederschiebern, im schlechtesten eine kulturelle Vereinigung von Psychopathen ist, die, wie im deutschen ‚Vaterlande‘, mit dem Goetheband im Tornister auszogen, um Franzosen und Russen auf Bajonette zu spießen.“ Richard Huelsenbeck: En avant Dada (1920).

 

 

 

 

Dada ist keine Kunst,

„sondern eine spezifische Form des Widerspruchs von Künstlern … gegen die Kulturschöpfungen einer Gesellschaft, die aus selbstsüchtigen Beweggründen imstande war, … Millionen von Menschen abzuschlachten“.

(Dada – Monograph of a Mouvement. Monographie einer Bewegung. Monographie d’un mouvement. Herausgegeben von Willy VERKAUF. Teufen (Switzerland) 1957, S.13.)

 

„Ästhetische, ethische und kulturelle Werte sind Versuche des und der Menschen, … Sicherheitswerte zu schaffen, die ihm eine Richtung geben. Der Mensch, weder der einzelne noch die Vielheit, kann ohne solche Sicherheitswerte leben.“

Richard Huelsenbeck: Dada oder der Sinn im Chaos (1964).

 

 

„Kunst … ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben.
Die sich nicht mit ihm abfinden, sondern sich mit ihm auseinandersetzen. …
Die nicht die Augen abwenden, um sich vor Emotionen zu behüten,
sondern sie aufreißen, um anzugehen, was angegangen werden muß.“

(Arnold Schönberg, Aphorismen In: Die Musik, IX, 4. Quartal, 1909, Seite 159.)

Andrej Tarkowskij: Stimme des Volkes

„Da der Künstler seine Zeit und Welt am vollständigsten erfaßt, wird er zur Stimme jener, die ihre Beziehung zur Wirklichkeit nicht zu reflektieren und auszudrücken vermögen.
In diesem Sinne ist der Künstler in der Tat die Stimme des Volkes“.
(Andrej Tarkowskij, Die versiegelte Zeit, Frankfurt/M. und Berlin 1988, S.42.)

 

 

Albert Camus: Verstehen

„Die Kunst verfolgt … den Zweck, zu verstehen. Darum spricht der Künstler am Ende seines Weges frei, anstatt zu verdammen. er ist nicht Richter, sondern Rechtfertiger. Er ist der unermüdliche Fürsprecher des lebendigen Geschöpfes, eben weil es lebendig ist. Er plädiert wahrhaft für die Nächstenliebe, nicht für jene Fernliebe, die den zeitgenössischen Humanismus zu einem Katechismus der Gerichtshöfe erniedrigt. Im Gegenteil: das große Werk beschämt schließlich alle Richter. In ihm ehrt der Künstler gleichzeitig das erhabende Bild des Menschen und verneigt sich vor dem schäbigsten Verbrecher.“ Albert Camus

 

Arnold Schönberg: Die Ehre wahrer Künstler

„Wirkliche Künstler leben nach den strengen Regeln eines Ehrenkodex, die sie in vieler Hinsicht einschränken. Sie sind am besten mit den Ordensregeln zu vergleichen, die das Leben von Mönchen und Nonnen regulieren. Aber jene Einschränkungen sind sogar strenger. Ein Mönch oder eine Nonnne kann nach der Beichte von den Sünden losgesprochen werden, aber ein Künstler darf nicht einmal eine Sünde im Geiste begehen, ohne einen fast unheilbaren Riß in seiner Moral, in seiner Ethik zu bewirken.“       (Arnold Schönberg)

 

 

„Kunst
kommt nicht von Können,
sondern vom
Müssen.“
(Arnold Schönberg)

 

 

 

 

 

„Der Glaube an die alleinseligmachende Technik müßte unterdrückt,
das Bestreben nach
Wahrhaftigkeit gefördert werden“.

(Arnold Schönberg, Probleme des Kunstunterrichts)

 

 

„…nicht wie,
sondern,   d a ß
man sich mit den Problemen auseinanderzusetzen hat, müßte der Schüler entnehmen.“

(Arnold Schönberg, Probleme des Kunstunterrichts)

 

Joseph Beuys, 1964: Man solle die Berliner Mauer um 5 cm erhöhen

„Die Betrachtung der Berliner Mauer, aus einem Gesichtswinkel, der allein die Proportion dieses Bauwerkes berücksichtigt, dürfte doch wohl erlaubt sein. Entschärft sofort die Mauer. Durch inneres Lachen… Man bleibt nicht mehr an der physischen Mauer hängen. Es wird auf die geistige Mauer hingelenkt und diese zu überwinden, darauf kommt es ja wohl an…Wieviel hat jeder von uns zum Möglichsein dieser Mauer beigetragen und trägt weiter bei. Ist jeder Mensch ausreichend am Verschwinden dieser Mauer interessiert?… Reden Sie nicht so viel von der Mauer! Begründen Sie durch Selbsterziehung eine bessere Moral im Menschengeschlecht und alle Mauern verschwinden. Es gibt ja so viele Mauern zwischen Mir und Dir.

Eine Mauer an sich ist sehr schön, wenn die Proportion stimmt.

 

 

 

„Der edelste Trieb,
der Trieb zu erkennen,
legt uns die Pflicht auf zu suchen.
Und eine in ehrlichem Suchen gefundene Irrlehre
steht noch immer höher
als die beschauliche Sicherheit dessen,
der sich gegen sie wehrt,
weil er zu wissen vermeint –
zu wissen, ohne selbst
gesucht zu haben!“
(Arnold Schönberg, Harmonielehre, 1922 / 1949
ND Wien 1986, S.2.)

 

 

Andrej Tarkowskij: Frage nach dem Sinn des Lebens

„Ziel jedweder Kunst ist,
die nicht bloß wie eine Ware ‚konsumiert‘ werden will,
sich selbst und der Umwelt
den Sinn des Lebens und der menschlichen Existenz
zu erklären…
Oder es…vielleicht gar nicht erklären,
sondern sie nur vor diese Frage zu stellen.“

Andrej Tarkowskij, Die versiegelte Zeit, Frankfurt/M. und Berlin 1988, S.170f.

 

 

Rudolf Schäfer: Dinge entdecken

„Am liebsten arbeite ich in Bereichen, in denen ich Dinge entdecken kann, die ich bis dahin noch nie oder noch nie so gesehen habe.“

Rudolf Schäfer (Photograph: „Der ewige Schlaf – visages de morts“, Hamburg 1989)

 

 

 

 

„Indem sich autonome Kunst vor einer Welt, die miserabel eingerichtet ist, verschließt, erscheint sie als lautloser und dennoch vernehmlicher Protest; daß sie anders ist als die Realität, der sie den Rücken kehrt, wird vom Publikum als Stachel empfunden, der am bestehenden Zustand irre macht: von einem Publikum, das die autonomen Werke gar nicht so schlecht versteht, wenn es sich über deren Unverständlichkeit entrüstet.“

Carl Dahlhaus (1972): Thesen über engagierte Musik.

 

 

 

 

 

 

 

John Cage: Musik als „Kinderspiel“

 

Meine Ideen begannen sicherlich auf dem Gebiet der Musik. Was ich auf dem Gebiet der Musik gemacht habe, kann man mit Kinderspielen vergleichen. (In diesen idyllischen Tagen haben wir so manches gelernt, an das wir uns jetzt erinnern sollten.) Unsere eigentliche Aufgabe, sofern uns an der Menschheit und der Welt, in der wir leben, etwas gelegen ist, ist eine Revolution.

John CAGE: A Year From Monday (1967).

 

 

 

Was ist Kunst? –
„… eine Art Labor,
in dem man das Leben ausprobiert“.

(„John Cage: Silence“. Aus dem Amerikanischen von Ernst Jandl (1954), Frankfurt/M. 1987; S.54)

 

 

Seit vielen Jahren ist mir klar, daß Musik, wenn sie keinen Bezug zum Rest des Lebens hat, mich nicht mehr interessiert.
Rein musikalische Fragen kann ich nicht mehr ernst nehmen.
(John CAGE: Empty Words, 1979)

 

 

Cage: Meisterwerke = König und Premierminister

 

The masterpieces of Western music exemplify monarchies and dictatorships.
Composer and conductor: king and prime minister.

(John CAGE: „The Future of Music“, 1974/79. In: Empty Words. Writings ’73-’78. Middletown, CT. 1979, S.183.)

„Die Meisterwerke der westlichen Kultur sind Beispiele für Monarchien und Diktaturen.
Komponist und Dirigent: König und Premierminister“.

 

 

Ich sagte: weil die Klänge nichts als Klänge wären, hätten auch die Menschen, die sie hörten die Chance, einfach Menschen zu sein, die ihr Zentrum in sich selber tragen, wo immer sie selbst sich gerade befinden, nicht künstlich von sich selber getrennt, wie sie es gewöhnlich sind, sobald sie versuchen herauszubekommen, was der Künstler mit diesen Klängen sagen will.

John CAGE: Unbestimmtheit (1958).

 

Cage: soziale Gefühle

Man kann sagen, daß dieses Verwischen von Grenzen zwischen dem Komponisten, den Interpreten und den Hörern ein Anzeichen für einen Wandel innerhalb der Gesellschaft ist, – nicht nur in der Struktur der Gesellschaft, sondern in dem Gefühl, das Menschen füreinander haben.
Furcht, Schuld und Gier sind mit hierarchischen Gesellschaftsformen verbunden. Sie weichen einem gegenseitigen Vertrauen, einem Sinn für das gemeinsame Wohlergehen und einem Bedürfnis, miteinander zu teilen, was der eine haben oder zu tun haben mag (John CAGE: Empty Words, 1979; Übersetzung: Doris Kösterke).

 

„Künstler ist
nur einer, der
aus einer Lösung
ein Rätsel macht“

(Karl Kraus).

 

„Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das der Verfremdung der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden; die Kunst ist ein Mittel, das Machen einer Sache zu erleben; das Gemachte hingegen ist in der Kunst unwichtig.“

(Victor Sklowskij)

 

 

Kann man mit Kunst die
Welt verbessern?“ –
man sollte es
versuchen. (Doris Kösterke)

 

Vor ein Bild hat Jeder sich
hinzustellen, wie vor einen Fürsten,
abwartend, ob und was es zu einem
sprechen werde; und wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen.

Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, II, Zweiter Teilband (1844), Zürich 1977, S.480.
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