HUMANOISE congress #28 in Wiesbaden

 

Woran macht man fest, dass ein Konzert gut war? Zum Beispiel daran, dass man ausgelaugt und lustlos hineingegangen ist, doch schon unter den ersten Klängen „ganz Ohr“ wurde; dass man sich nach fast drei Stunden fragte: „Was? Schon aus?“ und auf dem Heimweg befand: was hier geboten wurde, hat mir schon lange gefehlt.

Die Rede ist hier weder von einer Klangmassage unterer Chakras, noch von einer Ohrwurm-Parade und nicht einmal von einem renommierten Hochglanz-Klangkörper. Sondern vom Eröffnungskonzert des HUMANOISE congress #28, in dem sich im Kunsthaus auf dem Schulberg sieben frei improvisierende Musiker aus sieben Ländern mit dreien aus der veranstaltenden Kooperative New Jazz e.V. / ARTist erstmals zusammenfanden, um in drei Konzerten und zwei öffentlichen Proben an einem Wochenende näher zueinander zu finden. Dieses Eröffnungskonzert (die anderen Veranstaltungen konnten von der Rezensentin leider nicht besucht werden) war ein akustisches Einander Beschnuppern, bedingungslos offen, voller Neugier und Respekt, behutsam und achtsam, voller „Groove“ aus dramaturgisch schlüssigen gruppendynamischen Prozessen mit Aufrauschen und Entspannung.

Dass dies hier keineswegs banal wirkte, lag an der gesteigerten Sensibilität, von der diese Prozesse getragen wurden. Und an der Feinheit der Klänge: Wenn so unterschiedliche Instrumente wie Viola und Trompete zusammenpassen sollen, funktioniert dies vornehmlich auf der Ebene leiser Geräusche und zarter, sinustonartiger Klangfäden (Theo Nabicht mit der Kontrabassklarinette!). Doch in einem Trio mit Uli Phillipp (Kontrabass) und Dirk Marwedel (Erweitertes Saxophon) brachte Elena Margarita Kakaliagou über eine Hornkantilene auch klassischen Schönklang in die freie Improvisation. Ernesto Rodrigues entlockte seiner Viola ein zauberhaftes Spektrum delikater Obertöne mit einem von Michael Bach entwickelten Rundbogen, an dem die Bogenhaare während des Spieles über einen Hebel gespannt und gelöst werden können.

Mit zwei knubbeligen, über ein Kabel verbundenen Enden erinnert die für die Spiele-Konsole Wii entwickelte Fernbedienung Nunchuk, über die Computer-Musiker Korhan Erel seine Samples zu Mustern fügte, an ein Springseil. Sensibilisiert von den feinen Klängen empfand man es bereits als Musik, als Hannah Marshall vor ihrem Zusammenspiel mit Trompete, Kontrabass, Horn, Akkordeon (Jonas Kocher) und Schlagzeug (Wolfgang Schliemann) Kolophonium auf ihren Bogen rieb. Und als Trompeter Nicolas Souchal nach dem plausiblen Schluss einer Quartett-Improvisation noch lange die Spannung hielt, genossen alle Versammelten die reich eingefärbte Stille.

Doris Kösterke

Erstveröffentlichung in Wiesbaden am 05.07.2016