Catherine Milliken über NIGHT SHIFT

 

 

 

Frankfurt/Offenbach/Berlin. „Komponieren ist ein Weg, wie man Menschen zusammen­bringt“, definiert Catherine Milliken erfrischend unkonventionell. Am Sonntag, den 27.2.2022 wird im Capitol Offenbach im Rahmen des cresc… Festivals ihr Stück „Night Shift“ (2021) aufgeführt. Darin sind die Zuhörenden als Mitwirkende gefragt.

Gespräch mit der Komponistin Catherine Milliken über ihr Stück „Night Shift“. Es soll  im Rahmen des um ein Jahr verschobenen cresc… Festivals 2022 aufgeführt werden.

Die in Australien geborene, in Berlin lebende Oboistin und mehrfach preisgekrönte Komponistin hat viel Erfahrung darin, Menschen zu künstlerischem Schaffen zu ermutigen. So hat sie etwa mit jugendlichen Strafgefangenen und japanischen Flutopfern jeweils Musiktheaterstücke erarbeitet, in denen sie eine kreative Perspektive auf ihre Lebenssituation entwickeln konnten. Von 2005 – 2012 hat sie das “Education”- Programm der Berliner Philharmoniker geleitet.

Ohne die „vierte Wand“

Der Kompositionsauftrag für „Night Shift“ ist Teil des internationalen Projekts „CONNECT – The Audience as artist“, das seit einigen Jahren nach Wegen sucht, um „die vierte Wand“ zwischen Künstlern und Zuhörern aufzuweichen. Musikalisch wird „CONNECT“ von der London Sinfonietta, dem Ensemble „Asko|Schönberg“ Den Haag, dem „Remix Ensemble Casa da Música“ in Porto sowie dem Ensemble Modern getragen. Die Beziehung zwischen Catherine Milliken und dem Ensemble Modern ist eine ganz besondere: sie hat es 1980 mitbegründet. In einem seiner Räume in der Deutschen Ensembleakademie erzählte sie von den Herausforderungen, vor die „Night Shift“ sie gestellt hatte.

Zuschauer als ebenbürtige Mitwirkende

„Ich wollte, dass wirklich alle im Raum, also Solisten, Ensemble und Zuhörer ebenbürtig sind und ein sehr intensives musikalisches Erlebnis bekommen. Aber wie bindet man Publikum ein, so dass sie wirklich ein sehr ernsthafter, wichtiger Teil der Komposition sind? Wie schafft man es, dass sie sich nicht groß darauf vorbereiten müssen? Was für eine Struktur gibt man dem Abend? Und natürlich: mit welcher Art Musik erreiche ich das?“

Jeder, der ins Konzert kommt, erhält eine Tüte mit Materialien, mit denen man Klänge machen kann. Wenn man selber Klänge macht, hört man viel genauer auf die anderen. Das schafft eine wunderschöne und intensive Atmosphäre.

Zur Vermittlung zwischen den unvorberei­teten Konzertbesuchern und den professio­nellen Musikern kam ihr die Idee, einen Laienchor einzusetzen. Für die Offenbacher Aufführung bereitet sich „Der Chor Frank­furt“ in Workshops darauf vor. Solisten und Ensemble, in der Offenbacher Aufführung werden dies die Kontra-Altistin Helena Rasker, der Tenor Michael Schiefel und das Ensemble Modern sein, werden die Aktionen des Publikums „umgarnen“, wie Milliken es nennt.

Inspiration Shakespeare

Das Stück kristallisiert um „Themen, die heute relevant sind“ bei Shakespeare. „Im zweiten Akt von dessen „Sommer­nachtstraum“ hält Titania ihrem Mann Oberon vor, er habe ansteckende Krankheiten, Fluten, Dürren, Feuer, Chaos der Jahreszeiten verursacht. Damit listet sie auf, was auch heutzutage passiert. Haargenau. Dann gibt es im ‚Sommernachtstraum‘ das Spiel im Spiel, das Theaterstück der Handwerker. In „Night Shift“ sind wir alle solche Handwerker. In diesem Spiel im Spiel gibt es ‚die Wand‘, die die Lebenden trennt und schließlich verschwindet. Die habe ich zum Anlass genommen, um über Mauern nachzudenken“. „Der Chor Frankfurt“ hat dazu bereits ein paar schöne Lieder geschaffen, etwa „Mauer im Kopf trennt Mensch von Mensch“.

„Das dritte Kapitel knüpft an den Traum des Webers Zettel an: Warum soll man nicht scheinbar unmögliche Träume träumen? Im vierten Kapitel, Imagination, lassen wir alle im Publikum sich einen wunderschönen Ort vorstellen und ihn auf einer Karte beschreiben. Über diese Karten werden Michael Schiefel und die Ensemblemusiker improvisieren. Der letzte Teil ist von Shakespeares Sonett 43 inspiriert. Darin geht es um die Liebe, die man in der Abwesenheit vielleicht sogar noch klarer spürt, als im Zusammensein. Das ist in unserer Zeit, in der viele Menschen nicht zueinander finden, auch sehr relevant, finde ich“.

Musikalische Architektur

Die Struktur des Abends war eine besonders anspruchsvolle Aufgabe: sie sollte für die unvorhersehbaren Impulse der Mitwirkenden offen sein und zugleich dem Ganzen die sprichwörtliche Form geben. Für Schopen­hauer war Architektur „gefrorene Musik“. Catherine Milliken sieht Musik als in der Zeit entfaltete Architektur: Sie spiegelt die Gedanken, deren Raum sie ist und überformt sie zugleich. Der Goldene Schnitt spielt dabei eine Rolle, verrät Catherine Milliken, „aber etwa auch die 4 – 7 – 11- Regel. Auch Debussy und Bartok haben die Bedeutung dieser Regel in der Natur reflektiert und nach ihr komponiert“, sagte Milliken.

Energieströme

„Wir haben das Stück im September schon in Berlin aufgeführt. Da gab es wunderschöne Momente, in denen etwa alle Menschen im Raum Geräusche mit Steinen gemacht haben“. Die Aktionen von Musikern und Zuhörern gehen zwanglos ineinander über: sie überlappen sich für ein Weilchen und nach und nach hört die eine Gruppe auf, um der anderen zuzuhören und umgekehrt. „So strömen die Energien von der Bühne in den Zuschauerraum und zurück, wie ein Meer“, beschreibt Milliken. Dirigent Jonathan Stockhammer wird die Stärke der Wellen und Gezeiten mitbestimmen.

„Am Anfang hatte ich viele Fragen und fand die Aufgabe sehr schwierig. Aber je mehr ich mich mit der ganzen Fragestellung beschäftigt habe, desto mehr war ich überzeugt: Es ist zu machen und man schafft sogar etwas ganz Neues: So eine Art konzertante Installation, einen allgemein zugänglichen Hör-Raum, in dem alle so ebenbürtig sind, wie es nur geht“.

DORIS KÖSTERKE

 

Die Aufführung soll im Februar 2023 im Capitol Offenbach stattfinden.

 

Trailer aus der Berliner Aufführung : https://www.cresc-biennale.de/de/programm/2022-02-27/night-shift
Zu ihrer Komposition Bright Ring: http://www.sokratia.de/994-2/