Manos Tsangaris zu „PYGMALIA“

Manos Tsangaris (*1956) hat für PYGMALIA Musik, Text, Licht, Ton, und Szene durchkomponiert und ist gleichzeitig Regisseur. – Foto von Fabian Stürtz.

 

Frankfurt. Pygmalia schafft sich den idealen Mann. Im gleichnamigen Musiktheaterstück von Manos Tsangaris ist sie Videokünstlerin. Und Bildhauerin, analog zu ihrem mythologischen Vorbild Pygmalion, der sich in sein eigenes Werk so sehr verliebte, dass die Liebesgöttin Venus sich erbarmte und die Statue zum Leben erweckte.

Die Uraufführung dieses im Auftrag der Alten Oper Frankfurt komponierten Werks soll am dritten Februar 2022 im Mozart Saal stattfinden. Bisher proben alle Beteiligten, Licht- und Video-Künstler, die beiden Sänger und die Musiker des Ensemble Modern noch unter erschwerten Bedingungen im Dachsaal der Deutschen Ensemble Akademie.

Proben zur Uraufführung

„Ich sehe die anderen nicht“, sagt Pianist Hermann Kretzschmar hinter einer Säule. Anderen geht es ähnlich. Deshalb übernimmt Geiger Jagdish Mistry für diese Probe die eigentlich nicht vorgesehene Rolle des Dirigenten. Manos Tsangaris, Komponist von Licht, Ton und Szene und gleichzeitig Texter und Regisseur, erläutert Zusammenhänge und findet manches schon ganz gut.

Am Ende des intensiven Probentages gönnt er sich ein Bier im Bahnhofsviertel. Essen kann er noch nichts. Dafür ist er innerlich noch zu beschäftigt. Denn während der vorgeschriebenen Lüftungspausen bei den Proben im Dachsaal gab es immer wieder Telefonate um die Münchner Biennale, das von Hans Werner Henze gegründete Festival für Neues Musiktheater, das er seit 2016 gemeinsam mit Daniel Ott künstlerisch leitet.

Aber für ein Gespräch ist er offen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Komponist werde“, plaudert der 1956 in Düsseldorf Geborene, dessen Aktivitäten als Lyriker, Komponist, Installations- und Performancekünstler oft nahtlos ineinander übergehen. Ursprünglich studiert hat er parallel an der Kunstakademie Düsseldorf und an der Kölner Musikhochschule, dort neben Schlagzeug auch Neues Musiktheater bei Mauricio Kagel.

Wechselnde Perspektive

Auch „Pygmalia“ hat Aspekte einer Installation. Wenn das Publikum den Mozartsaal betritt, wird es seine gewohnten Plätze kaum finden. Denn im mittleren Bereich werden die Stuhlreihen rausgenommen, um das Zentrum des Saales zur Bühne zu machen. Die eine Hälfte der Zuschauer wird dort sitzen, wo sonst die Bühne ist. Die andere Hälfte gegenüber, teils unter dem Balkon. Auch die Bühne ist ihrerseits unterteilt, in eine „Sie-Seite“ und eine „Er-Seite“. „Ich will, dass die Musiker direkt mit den Zuhörern kommunizieren“, sagt Tsangaris. „Dadurch schaffen sie einen Vordergrund. Was auf der anderen Seite der Bühne, im Hintergrund passiert, werden die Zuhörer aus ihrer Wahrnehmung ausfiltern, so, wie du jetzt mir zuhörst und nicht den Leuten dahinten“. In regelmäßigen Abständen, werden die beiden Parallelhandlungen in so genannten Konnexen verbunden.

In der Mitte des Abends tauschen die Zuhörer die Seiten. Wer zuerst die „Sie-Seite“ kennengelernt hat, bekommt jetzt die „Er-Seite“ präsentiert und umgekehrt. Es geht um einen echten Perspektivwechsel, nach dem sich die Geschichte sehr anders darstellt.

„Mich interessiert die Frage, wie wir unsere Vorstellungen von Wirklichkeit generieren“, betont Manos Tsangaris. „Wir nehmen ja nicht eins zu eins wahr. Ein kleines Kind sieht die Welt zunächst auf dem Kopf stehend. Es ertastet seine Umgebung und schafft einen Kontext, der das Bild korrigiert“. Dieses Prinzip setzt sich im Idealfall ein Leben lang fort. Nicht von ungefähr ist das Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – in der klangvolleren englischen Variante „I spy with my little eye“ – ein Teil von diesem Stück: „In diesem Spiel wird Wahrnehmung abgeglichen, Intersubjektivität geschaffen“, sagt Tsangaris.

Musiktheater als Modell

„Ich denke Musiktheater grundsätzlich als ein Forum, in dem Modelle der Wirklichkeit und des Daseins probiert werden können. In Pygmalia sind alle als leibliche Wesen in einem echten Raum anwesend. Die beiden Publika sehen über die Musiker hinweg auch einander. Das ermöglicht eine viel umfänglichere Form von Wahrnehmungsbezügen, als etwa ein Film oder eine Guckkastenbühne“. Klangregisseur Lukas Nowok, IEMA-Stipendiat 2020/21 und damit ein echter Ensemble-Modern-Nachwuchs, gibt Ansagen zur Orientierung: Nicht nur die Musiker, auch die Zuschauer sollen sehr genau wissen, an welchem Teil im Stück sie sich befinden. Wenn sie diesem Teil nach dem Perspektivwechsel ein zweites Mal begegnen, können sie ihre beiden Eindrücke abgleichen.

Warum will der Komponist eigentlich keinen Dirigenten? „Weil ich das Stück als Ansammlung von Duos geschrieben habe. Da sollen sich die Duo-Partner direkt miteinander abstimmen. Stell dir doch mal vor, dass wir zwei uns hier miteinander unterhalten und da drüben steht jemand und bestimmt, in welchem Metrum, mit welchen Akzenten oder in welcher Dynamik wir das zu tun haben!“.

Veränderte Orpheus-Sage

Klappt es denn nun eigentlich zwischen Pygmalia und ihrem Design-Mann? Manos Tsangaris weicht aus: „Pygmalia ist in mehrfacher Hinsicht eine Fortsetzung meiner ‚Abstract Pieces‘ von 2018. Darin habe ich die Orpheus-Sage so umgeschrieben, dass es Orpheus gelingt, seine geliebte verstorbene Eurydike aus dem Totenreich herauszuführen. Aber das glückliche Leben als Paar dauert nicht lange. Eurydike hat bald genug von ihm und verlässt ihn. Verliebt sein reicht nicht, um den Alltag zu meistern“, sagt Tsangaris. „Nicht von ungefähr suchen Millionen von Menschen ihre Partner eher im Internet als unter den Menschen, die sie kennen: Nur das, was weit genug weg ist, damit wir projizieren können, vermag idealen Ansprüchen zu genügen“. Macht Pygmalias selbstgemachter Traummann da eine Ausnahme?

DORIS KÖSTERKE
Das Gespräch fand am 14.1.2022 statt.