Die Wahre Freundschaft des Andreas Scholl

„Freundschaft“ ist der Leitgedanke des Rheingau Musik Festivals 2018. Wahre Freundschaft bewies Andreas Scholl: Er kam gerade von einer Asien-Tournee zurück. Sein Töchterchen genoss es, endlich wieder mit Papa zu schmusen. Da kam ein Anruf vom Rheingau Musik Festival, Vesselina Kasarova sei erkrankt, ob er nicht ihr Konzert in der Basilika von Kloster Eberbach übernehmen könne. Dafür müsse er noch in Rom mit dem Ensemble proben. Alles binnen 48 Stunden. Und Scholl sagte zu.

Das Repertoire der Mezzo-Sopranistin und des Countertenors überschnitt sich sogar ein wenig, so dass das Programm nicht komplett umgestellt werden musste. Tapfer kämpfte sich der Sänger in Händels „Verdi prati“ durch die Übermacht der Instrumentalisten bis zum strahlend aufblühenden Spitzenton.

Zuvor, in Vivaldis Sinfonia aus der Oper „La verità in cimento“ RV 739, hatten die elf Instrumentalisten des Concerto de‘ Cavalieri spürbare Überraschungen mit der Akustik erlebt, in der die Mitwirkenden selbst einander oft nicht hören. Trotz klarer Leitung durch Marcello Di Lisa kam es zu wiederholten Verirrungen bei der Koordination. In der Verzögerung, mit der er ein auskomponiertes Schluss-Echo nachlieferte, zeigte der promovierte Altphilologe klug kalkulierten Humor. Im Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 4 von Arcangelo Corelli schälte sich der melodiöse Fluss aus den Klangsäulen des Beginns, wie zarte Rankpflänzchen aus verwittertem Gemäuer. Die langsamen Sätze wirkten als eindringliche besinnliche Klangreden. Der Finalsatz war ein jubelndes Sich-Umeinander-Winden der Geigen von Federico Guglielmo und Alessia Pazzaglia. In Vivaldis Concerto für Streicher in D-Dur RV 121 ließen die originell klangmalerischen Verzierungen des Konzertmeisters aufhorchen. In langsamen Sätzen zeigten die Musiker ihre Vertrautheit mit dem musikalischen Weinen und Seufzen nach der barocken Affektenlehre. In scharfen Laut-Leise-Kontrasten beeindruckten sie mit ihrer Präsenz, in rasanten Sturm- und Gewitterstimmungen zeigten sie fast zu viel Virtuosität.

Die Stimme von Andreas Scholl (wie auch die seiner Schwester Elisabeth) entfaltet ihr einzigartiges Charisma am schönsten in langsamen Sätzen, an diesem Abend etwa in Händels Arie „Dove sei, amato bene“. Statt die Melodie, wie es schon zur Barockzeit oft passierte, im Da Capo mit Verzierungen zu überfrachten, hat Andreas Scholl sie frei umsungen, in der Schlusskadenz gelassen dem Nachhall lauschend und mit ihm spielend. Nach Verklingen des Schlusstons bemühten alle Musiker sich deutlich, die Spannung weiter zu halten, die jedoch vom begeisterten Beifall zertrümmert wurde.

Andreas Scholl sang alles auswendig, mit freiem Blick ins Publikum und lebhaft darstellendem Spiel und leidenschaftlicher Präsenz. Die intonatorische Freizügigkeit seiner Koloraturen in Händels “Empio, dirò, tu sei” mochte, ebenso wie ein gelegentlich unkontrolliertes Umkippen tiefer Einzeltöne in die Männerstimme, vorangegangenen Strapazen geschuldet sein.

Zugabe war Händels “Ombra Mai Fù”, beginnend mit einem groß angelegten Schwellton, in dem Andreas Scholl das charismatische Timbre seiner Stimme voll zur Geltung brachte. Bravos und Jubel für den Sänger, dessen Töchterchen wach geblieben war, um jetzt endlich mit ihrem Papa zu schmusen.

DORIS KÖSTERKE

 

27.06.2018