Tania Rubio fasst indigene Gedanken in Musik

In der Musik spürt man seine gemeinsame Wurzel mit allem, was ist. Vielleicht nicht in jeder Musik. Wohl aber in der von Tania Rubio. Die 1987 geborene mexikanische Komponistin ist in diesem Sommer für knapp drei Monate als Composer in Residence in Frankfurt. Ihr Arbeitsstipendium wurde gemeinsam vom Archiv Frau und Musik und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) vergeben. 57 Bewerberinnen aus über 28 Ländern hatten sich dafür beworben. Die Jury bestand aus Komponistin Annesley Black, Dirigentin Linda Horowitz, Cello-Professorin Katharina Deserno, Komponist Hannes Seidl und Redakteur Stefan Fricke vom Hessischen Rundfunk. Kriterien waren laut Katharina Deserno die handwerkliche Qualität, der Mut zu einer eigenen künstlerischen Aussage und „etwas Verbindendes“, also etwas, das jeder unmittelbar versteht, unabhängig von seiner kulturellen Prägung und Bildung. Für Linda Horowitz sollte die Musik darüber hinaus auch schön sein. Anstelle einer Pressekonferenz bot ein Willkommens-Brunch Gelegenheit, mit vielen Beteiligten persönlich zu sprechen. Er fand im Baukomplex „hoffmanns höfe“ statt, in dem auch das Archiv Frau und Musik sein Domizil hat.

Das Archiv wird im November dieses Jahres vierzig Jahre alt. Überwiegend sind es Ehrenamtliche und junge Idealisten am Rande der Belastbarkeit auf befristeten Teilzeitstellen, die hier Informationen von mehr als 1800 Komponistinnen aus elf Jahrhunderten wissenschaftlich aufarbeiten. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Komponieren noch immer eine Männerdomäne.  Das Archiv hilft Frauen, darin überhaupt wahrgenommen zu werden, stellt Partituren zur Verfügung und kann dabei selbst jede tätige oder finanzielle Hilfe gebrauchen.

Komponierende Frauen, komponierende Männer

„Komponieren Frauen anders?“, fragten wir Tania Rubio. „Frauen haben weniger Hemmungen als Männer, neben theoretischem Wissen auch ihre Intuition zum Fließen zu bringen“, sagte sie. „Männern vertrauen mehr auf das, was sich messen und zählen lässt, damit sie untereinander damit punkten können“.

Ihre Professoren und Kommilitonen waren Männer. Sie hat sich unter ihnen nicht unwohl gefühlt. Aber bei einer Begegnung mit Pauline Oliveros hat sie gespürt, dass es noch mehr gibt. Etwas, das sie, als sie im vergangenen Sommer bei den Darmstädter Ferienkursen war, auch bei Komponistinnen wie Jennifer Walshe, Ashley Fur und Rebecca Saunders gefunden hat: sie nehmen den gesamten Lebenszusammenhang in den Blick nimmt und schließen dabei auch Rituale und mystische Erfahrungen mit ein. Die Musik ist der Fokus und verweist zugleich aufs Ganze:

„Wir sind nicht nur ein Stück Natur. Wir sind Natur“, sagt Tania Rubio. „Wenn Menschen ein Stück Regenwald abholzen oder durch die Abwässer von Hotels ein Stück Meer zum Umkippen bringen, schaden sie sich selbst!“, sagt sie. Dass manche Menschen das nicht verstehen, bezeichnet Rubio als Defizit in der Bildung. „Und dem will Ihre Musik abhelfen?“ – „Ich denke, dass sie das kann!“, sagt Rubio vorsichtig optimistisch. Vorausgesetzt, man könne wirklich zuhören. Darunter versteht sie auch, dass man auf sich selber hört. Wenn man einen Bezug zwischen sich und dem Gehörten herstellt, kann das Gehörte im Hörenden etwas bewirken. – Ein Grundgedanke, der an das Deep Listening bei Pauline Oliveros erinnert.

Tania Rubio konstruiert ihre Musik zunächst nach erlernten Kriterien. „Aber damit ist es, wie bei der Lebensplanung: es kommt immer ganz anders“, lacht sie. Sie misst das Entstandene an ihrer Intuition, wirft es über den Haufen, baut aus den Trümmern etwas Neues, das sie wieder wechselseitig an ihrer Intuition und ihrem Wissen misst – viel Arbeit. Aber das Resultat ist einleuchtender, als alles, was man mit Worten sagen könnte. Und über Kulturen und Sprachen hinweg unmittelbar verständlich.

Portraitkonzert am 17. Oktober 2019

Am 17. Oktober wird es ein Portraitkonzert zum Abschied geben. Darin soll auch die Komposition aufgeführt werden, die sie in diesen knapp drei Monaten in Frankfurt schreiben wird. Grundmaterial sind die Rufe von Wasservögeln. Im Elektronischen Studio der HfMDK wird sie sie analysieren, weiterverarbeiten und mit Instrumentalparts verweben, die Studierende der HfMDK unter Rubios Anleitung übernehmen. Die Titel weiterer Werke, etwa Axolotl oder Yocatl, verraten Rubios Inspiration durch das vorkolonialistische Südamerika.

Rubios Beobachtungen, wie Vögel miteinander kommunizieren, werden auch das Schulprojekt „Response“ bestimmen. Darin wird sie, zusammen mit Ellen Mhumguane und Nicola Vock, mit Zehntklässlern der Offenbacher Mathildenschule zusammen ein Stück erarbeiten, das sich mit ihrem entstehenden neuen Werk auseinandersetzt. „Die Schüler erleben dabei, was es heißt, künstlerisch zu arbeiten“, erzählt Ellen Mhumguane und lacht: „Meistens gibt es dabei eine riesige Krise und danach finden das alle ganz toll!“.

Tania Rubio hat ein großes Interesse an alten Kulturen und versteht sich als Dolmetscherin. Denn in aller Welt hätten die alten einheimischen Kulturen das gleiche Ziel: das Mit-allem-Eins-Sein, die gemeinsame Wurzel spüren zu lassen mit allem, was ist.

„Wir sind alle Sternenstaub“, sagt Tania Rubio.

DORIS KÖSTERKE
27.7.2019

Vgl. auch
https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-jetzt-eine-komponistin-12869970.html
https://www.hessenschau.de/kultur/stadtkomponistin-faengt-die-geraeusche-frankfurts-ein,stadtkomponistin-frankfurt-100.html