„Die verkehrte Braut“ in der Kammeroper Frankfurt

Das Bestechende an der „Kammeroper“ um den Regisseur Rainer Pudenz ist ihr Humor. Damit windet sie sich aus allen Kategorien, entzieht sich allen Maßstäben und sichert sich ihr Alleinstellungsmerkmal mit Kultstatus. Am ehesten möchte man dieses mit rund sechzig Mitwirkenden unverhältnismäßig personalintensive Projekt der Freien Kulturszene mit seiner großen Schar an hochmotivierten Ehrenamtlichen als „soziales Kunstwerk“ einordnen:

Soziales Kunstwerk

Auch die Kreativität des Publikums ist gefordert bei der Selbstversorgung mit Proviant und Gewitterguss-festem Wetterschutz für den fast dreistündigen Aufenthalt unter freiem Himmel vor der Musikmuschel im Palmengarten.

Frankfurter Erstaufführung

In diesem Jahr feiert die „Kammeroper“ ihr 25-jähriges Jubiläum mit einer Rossini-Oper, die in der hier verwendeten deutschen Übersetzung von Thomas Peter „Die verkehrte Braut“ heißt. Die Premiere der Frankfurter Erstaufführung fand breite Zustimmung.

Gioachino Rossini hat „L’equivoco stravagante“ im Alter von 19 Jahren geschrieben, nach einem Libretto von Gaetano Gasbarri. Komponist, Librettist und Ensemble scheinen darin verbunden, dass sie keinerlei Veranlassung zu sehen scheinen, irgendjemanden oder irgendetwas ernst zu nehmen.

Mit Humor von Mensch zu Mensch

Bei seiner Textfassung hat Thomas Peter „dem Volk aufs Maul geschaut“. Nicht selten verlässt er die deutsche Hochsprache und sorgt verlässlich für Lacher. Das Bühnenbild von Frank Keller und Mateo Vilagrasa ist von einem großen Schrank geprägt, der zu dem Wortspiel einlädt, es ginge hier um beschränkte Leute. Tatsächlich haben die Protagonisten alle irgendwo ein Rad ab: der neureiche Gamberotto (Thomas Peter) mit seltsamen Kriterien zur Schwiegersohn-Findung; seine von ihm verklärte Tochter Ernestine (Dzuna Kalnina) im knallroten Rüschenkleid mit bei freizügigsten Bewegungen noch lückenlos füllendem Petticoat (Kostüme: Claudia Krauspe) und hehren Ansichten, wie: schon im alten Sparta war das Zeigen von Gefühlen auf zwei bis drei Tage begrenzt, deshalb ist es völlig egal, welchen Mann ich heirate. Ihr ursprünglicher Verlobter Buralicchio stammt aus reichem Hause und ist so dumm wie Bohnenstroh. An seiner Stelle erwählt sie schließlich Ermanno, der, alkohol-affin, depressiv und sensationell lebensuntüchtig, keine überzeugende Alternative darstellt. Timon Fuhr und Ralf Simon spielen diese beiden Antihelden mit ebenso nonchalanter Leichtigkeit, wie Louise Fenbury die Dienerin Rosalia, die sich am wesentlich jüngeren Frontino (Ilja Aksinov) versucht, einem Freund des Gamberotto, dekoriert wie ein wandelnder Weihnachtsbaum. Köstlich der von Harald Mathes gespielte Diener des Gamberotto, der hinter der Fassade der Ergebenheit vortrefflich für sich sorgt. Und der kunterbunte Chor, der stets das Gute will und damit nervt.

Quer zum gängigen Musikbetrieb

Aus der Sicht einer Musikwissenschaftlerin klangen Musik und Gesang nur selten nach Rossini und schienen das auch gar nicht anzustreben: Rainer Pudenz arbeitet quer zu allen Konventionen, insbesondere denen des etablierten Musikbetriebs. Immerhin war die Musik nicht medial vermittelt, sondern von mehr als zwanzig Musikern unter der Leitung von Daniel Stratievsky handgemacht. Als unterschwellig wirksames Vehikel für ein niederschwelliges, unmittelbar zugängliches, rauschhaft-witziges Opern-Karikatur-Erlebnis.

DORIS KÖSTERKE
20.07.2019

 

 

Das Vorjahresprogramm der Kammeroper Frankfurt kombinierte Bajazzo mit Impresario.