Dem Ensemble Modern von Manfred Stahnke

 

 

Mit einer offenen Frage schließt das Stück ›em 40‹, das Manfred Stahnke dem Ensemble Modern zum vierzigsten Geburtstag gewidmet hat. Den Ernst dieses Statements zu diesen Zeiten unterstrich die Stellung der Uraufführung: ›em 40‹ war das erste Werk, das der basisdemokratisch organisierte Klangkörper in diesem Jahr öffentlich erklingen ließ.

Ensemble Modern On Air

Das Konzert fand ohne Publikum im Dachsaal der Deutschen Ensemble Akademie statt. Den Livestream kann das Ensemble allein aus wirtschaftlicher Not nicht mehr, wie zuvor, unentgeltlich anbieten. Immerhin gibt es ein solidarisches Preissystem von einem „Einsteigerpreis“ von fünf, bis zu einem „Unterstützerpreis“ von dreißig Euro. Dass das Online-Ticket-Unternehmen eine zusätzliche Service-Gebühr erhebt, erscheint in diesem Zusammenhang als bitterer Hohn auf die Wertschätzung künstlerischer Arbeit.

Knisternde Konzentration

Die künstlerische Leistung war, wie eigentlich immer beim Ensemble Modern, enorm. Ein Blick in die Gesichter verriet die knisternde Konzentration in diesem latenten Flötenkonzert. Der Part des Flötisten Dietmar Wiesner, letztes noch aktives Gründungsmitglied, ist so vollmundig-virtuos, wie dieses weltweit gefragte Ensemble für Neue Musik. Die Rolle des Streichquartetts, das ihn umgibt, ist so wortkarg wie ätherisch, dass jede Nuance im Tonfall, jedes Quäntchen mehr oder weniger Lautstärke an Bedeutung gewinnt. Die Dosierung scheint unter der Leitung von Silvain Cambreling genau abgestimmt, aber auch gefährdet zu sein.

„Ebe und Anders“ von Pierluigi Billone

Warum Pierluigi Billone sein Stück für 7 Instrumente (2014) „Ebe und Anders“ nannte, bleibt der Fantasie des Fragenden überlassen. Die herausgehobenen Rollen von Trompeter Sava Stoianov und Posaunist Uwe Dierksen legten nahe, dass der Titel auf Andreas Eberle (Posaune) und Anders Nyqvist (Trompete) anspielt, Kollegen im Klangforum Wien, dem diese Reise durch ungewöhnliche Klangwelten gewidmet ist. Die Menschen an den Kameras gaben sich alle Mühe, dieses Erkunden durch Nahaufnahmen noch anschaulicher zu machen: In einem Konzert hätte man das leise Klopfen auf den Wirbelkasten der E-Gitarre (Christopher Brandt) möglicherweise ebenso wenig wahrgenommen wie das durch leichte Schläge auf das Brustbein hervorgerufene Trompeten-Vibrato oder die Ausdruckstanz-ähnliche Choreographie des Posaunen-Dämpfers. Manches erinnerte an emotionale Äußerungen in einer unbekannten Fremdsprache, Tonfälle, die man irgendwie „versteht“.

„REMIX“ von Georg Friedrich Haas

Georg Friedrich Haas nannte sein Stück „REMIX“, weil er darin eigentlich nur Elemente aus früheren Werken in einen neuen Zusammenhang stellen wollte. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht betrat er dennoch Neuland in Form einer Dichte, die zu einer eigenen Qualität wurde. In Haas Worten: „Der musikalische Sinn entsteht dabei nicht aus den einzelnen Tönen und Klängen (er entsteht auch nicht aus den Ereignissen in den einzelnen Stimmen), sondern er entsteht nur aus dem Gesamtklang“. Die Musikerinnen und Musiker, darunter auch der Komponist und Oboist Tamon Yashima, der 2019/20 Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie war, handhabten die virtuosen Anforderungen entspannt. Man spürte ihre gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber dem entstehenden Ganzen, einem im Wortsinne „Heiligen“.

DORIS KÖSTERKE
26.1.2021

 

Kunst jenseits von Kommerz

Buchstäblich tiefer gehen: unter der in Sandstein gemeißelten Jahreszahl „1591“ hindurch in das erste Tonnengewölbe und über eine weitere Treppe in das darunterliegende zweite im ehemaligen Zollhaus „Höchster Schlossplatz 1“. Seit nunmehr dreißig Jahren …weiterlesen

Rebecca Saunders

„Alles, nur nicht das!”, habe er beim ersten Blick in die Noten von Rebecca Saunders‘ ›Fury II‹ gedacht: „So viel Vor-Information zu jedem einzelnen Klang!“. Im Werkstattkonzert ›Happy New Ears‹ des Ensemble Modern im Holzfoyer der Oper Frankfurt spielte Kontrabassist Paul Cannon seinen Part dann so natürlich, als hätte er ihn selbst improvisiert. Eine Riesenleistung des Interpreten, der wiederum die Komponistin lobte: sie kenne sich mit den einzelnen Instrumenten und ihren erweiterten Klang- und Spielmöglichkeiten aus, wie kein anderer.

Genau darauf wollte Enno Poppe hinaus, der als Moderator mit brillantem Einfühlungsvermögen in die Gedankengänge seiner Komponistenkollegin und als enorm präziser, exzellent vorbereiteter Dirigent zum überragenden Erfolg des Abend beitrug: Rebecca Saunders gehört zu den gefragtesten und faszinierendsten ihrer Zunft, weil sie ihr Handwerk versteht. Und (im Gegensatz zu Handwerkern, die den Alltag zur Hölle machen können) minutiös genau wahrnimmt und entsprechend genau plant. Der überwältigende Klangreiz ihrer Musik, die soghafte Intensität, die faszinierenden Binnenstrukturen, etwa im an diesem Abend erklungenen ›dichroic seventeen‹ (1998), sind nicht zuletzt die Früchte überragenden Könnens, das Rebecca Saunders, die im Dezember dieses Jahres fünfzig wird, unter anderem bei Wolfgang Rihm erworben hat.

Hinzu kommen ein vielleicht typisch englischer Mut, die eigene Individualität zu kultivieren, sowie eine große Portion visionärer Intuition. Und Allgemeinbildung. Und natürlich Interpreten wie die des Ensemble Modern, die sich diese sehr spezielle Sprache aufs Sensibelste zu eigen machen. Im von Samuel Beckett inspirierten Stirrings Still I (2006) müssen Altflöte (Dietmar Wiesner), Oboe (Christian Hommel), und Klarinette (Jean Bossier) in sich jeweils zweistimmig spielen. Das geht. Aber nur sehr leise und mit äußerster Konzentration. Und schafft eine entsprechende Atmosphäre bei den Zuhörenden. Im abschließenden ›Fury II‹ wollte Saunders, wie sie es im Gespräch mit Enno Poppe nannte, einem kontrabassistischen Energieausbruch Resonanz in anderen Instrumenten verschaffen. Man staunte über die Genauigkeit, mit der sie die geräuschhaften Begleiterscheinungen der mächtigen körperlichen Präsenz des Kontrabasses (mit noch weiter heruntergestimmter fünfter Saite!) analysiert, für Bassklarinette, Cello, Akkordeon, Klavier und Schlagzeug imitierbar aufbereitet und damit noch komponiert hatte.

Danke für diesen wertvollen Abend!

DORIS KÖSTERKE
1.3.2017