FRANKFURT. Rudolf Buchbinder überzeugte als Gast von „Pro Arte“ im Großen Saal der Alten Oper mit seinem auf mehreren Ebenen durchdachten „Diabelli Project“. Nach eigenen Worten sind Beethovens „Diabelli-Variationen“ sein „Lebens-Leitmotiv“. …weiterlesen
Brett Dean
Aus Bach mach neu – Approach von Brett Dean
„Expedition Sound“ beim Rheingau Musik Festival –
Neue Kompositionen im Dialog mit vier Brandenburgischen Konzerten
Die Bravos, die durch den Wiesbadener Friedrich-von-Thiersch-Saal hallten, nachdem das Sechste von Bachs Brandenburgischen Konzerten verklungen war, klangen ehrlicher, tiefer empfunden, als wenn sie sich nur an den virtuosen Leistungen der beiden Solisten, Tabea Zimmermann und Brett Dean samt ihren Begleitern entzündet hätten: Spürbar hatte diese Aufführung ihren Zuhörern etwas „gesagt“. Nicht zuletzt, weil Brett Deans Komposition „Approach“ die Ohren für eine Besonderheit dieses Werkes gespitzt hatte. Im Rahmen des „Brandenburg Project“ des Swedish Chamber Orchestra, das jeweils eines von Bachs Konzerten BWV 1046-1051 einer darauf bezogenen zeitgenössischen Komposition gegenüberstellt, rieb Dean sich an dem Kanon der beiden Solisten, mit denen das dunkel timbrierte Werk beginnt. Das Besondere an diesem Kanon ist, das die beiden Stimmen einander in minimalem Abstand (von einer Achtel in einem Alla-breve-Takt) folgen. Sie erinnern dabei an zwei Parkourläufer, die fast nebeneinander Parkbänke, Autos und Mauern überwinden, der eine mit dem (schweren) linken, der andere mit dem (leichten) rechten Bein zuerst. Brett Dean reizte es, in seiner Komposition die Unterschiedlichkeit der beiden Solo-Partner herauszustellen. Dadurch wurde die Leistung in Bachs Komposition, in der beide Stimmen mit unterschiedlicher Gewichtung (leichtes Bein, schweres Bein) exakt Gleiches leisten, umso eindrucksvoller. Als Fokus-Künstler des Rheingau Musik Festivals hatte er in seiner Doppel-Rolle als Komponist und Interpret nach dem Wesen von Polyphonie gefragt und eine sinnlich einleuchtende Antwort präsentiert.
Die atmosphärisch dichte Aufführung entschädigte für die beiden vorangegangenen: Für die nebeneinander, aber nicht miteinander agierenden Solisten in Bachs Fünftem Brandenburgischen und für „Hamsa“ (arabisch: Fünf) von Uri Caine. Die Anspielung auf Bachs Zahlensymbolik mochte als von der Energetik des Jazz getragener surrealistischer Fantasie-Regen gemeint gewesen sein. Doch das bloße Abspielen einer mit Jazz-Idiomen gespickten Partitur unterscheidet sich vom Vorbild wie ein Tiger in freier Wildbahn von einem als Bettvorleger.
Am Abend drauf in der Basilika von Kloster Eberbach überraschte das Swedish Chamber Orchestra mit einer beispielhaft geschmeidigen Interpretation von Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 3: Angeführt von dem lockeren Pekka Kuusisto agierten Geiger und Bratscher im Stehen und ließen die energetischen Wellen der Musik mächtig aufbranden, wobei Dirigent Thomas Dausgaard allenfalls moderierend eingriff und die Musiker ihrer eigenen Musikalität überließ. In „Bach Materia“ von Anders Hillborg hatte Kuusisto als Solist viele Gelegenheiten zur Improvisation. Aufs Lebendigste kommunizierte er nicht nur mit Orchesterkollegen, sondern auch mit den in der Basilika beheimateten Schwalben. Über das Charisma des Geigers hinaus erinnerte Hillborgs Werk jedoch an jemanden, der ohne inneren Zusammenhang einen Witz nach dem anderen erzählt.
In der Aufführung von Bachs Viertem Brandenburgischen gefiel das Miteinander der beiden Blockflötisten Per Gros und Katarina Widell. Olga Neuwirth, die zu den gefragtesten Komponisten der Gegenwart zählt, ließ in „Aello – ballet mécanomorphe“ das Thema des zuvor gehörten Bach-Konzerts durch Wolken aus akustischen und elektronischen Klängen hindurchblinzeln. Die maschinenhafte Motorik Bachs hatte Neuwirth auf den Klang einer mechanischen Schreibmaschine übertragen, deren Klappern leicht verschoben gegen das übrige rhythmische Geschehen aus dem Hintergrund drang. Von allen aufgeführten Stücken provozierte dieses die größten Publikumsaktivitäten: manche drängten aus ihrer Sitzreihe und strebten mit missionarischem Gesichtsausdruck den Ausgängen zu, andere blieben zum „BUH!“-Rufen. Die meisten schienen jedoch gekommen, um ihren Horizont zu erweitern.
Zusammengenommen mit dem Konzert im vergangenen Jahr, das die ersten beiden Werke des Zyklus‘ (BWV 1046 und 1047) in den Mittelpunkt gestellt hatte, hinterließen die zeitgenössischen Kompositionen einen fast durchweg unbefriedigenden Eindruck: Nur Brett Dean hatte sich eng an der Vorlage orientiert. Die anderen schienen ihre Arbeit lediglich mit Bachschen Anleihen dekoriert zu haben. Das vielversprechende Anliegen, die sechs Meisterwerke als Quelle handwerklicher Inspiration erfahrbar zu machen, schien von den beauftragten Komponisten kaum erfüllt. – Oder hatte bereits der Kompositionsauftrag mehr auf Effekthascherei denn auf Substanz gezielt?
DORIS KÖSTERKE
8. und 9. 8. 2018
Brett Dean – Komponistenportrait in Mainz
Brett Dean – Drittes Mainzer Komponistenportrait
Kritik: Neuntes Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz
„Dann komponier doch selber!“, habe seine Frau gesagt, als er, noch Bratscher bei den Berliner Philharmonikern und deren Scharoun Ensemble, zu Hause „einmal zu oft“ über die zu spielenden Stücke geschimpft hatte. Brett Dean hörte auf seine Frau. Er hatte nie Komposition studiert, aber genug Erfahrung als Interpret, Improvisator und Arrangeur, um seine eigenen Vorstellungen von Klangsprache und „Großem Bogen“ zu verwirklichen. Seine Kompositionen verbreiteten sich zunächst über Flüsterpropaganda. Dann kamen Preise, Aufträge, Ruhm, aber kein Bruch in der Freundschaft zu seinem ehemaligen Orchesterkollegen Hermann Bäumer.
Im Dritten Mainzer Komponistenportrait, das in das von Bäumer dirigierte Neunte Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz im Großen Haus des Staatstheaters eingebettet war, standen beide zusammen auf der Bühne, zunächst in der überaus launigen Einführung, der obige Zitate entnommen sind. In Brett Deans Konzert für Viola und Orchester wirkte der Komponist als Solist. Den Beginn ließen die Violoncelli ganz allmählich über die Hörschwelle kriechen, bis die Solobratsche in den höchsten Tönen einstimmte: Laut Dean ein Klang, den andere Komponisten kaum zu schätzen wissen. Im Ausklang kommentierte die Solo-Bratsche sehr leise ein Solo der Oboe. Dazwischen war es so packend, dass es schwer fällt, etwas über die Tonsprache zu sagen, außer, dass sie an keinen anderen Komponisten erinnert.
Als eins von Bretts Deans bekanntesten Stücken folgte „Carlo” für Streicher, Sampler und Tonband. Letztere lassen die Quelle der Inspiration, das harmonisch kühne Madrigal „Moro, lasso, al mio duolo“ von Carlo Gesualdo durchschimmern. Aus den zugespielten und gesampelten vokalen Renaissanceklängen greifen die meist als Solisten agierenden Streicher einzelne Klänge und Motive auf und entwickeln sie weiter zu einer dramatischen Raserei, die an den Mord Gesualdos an seiner Frau und deren Liebhaber erinnert und schließlich eine humoristische Vollbremsung erfährt.
Umrahmt wurde das Portrait von zwei Werken des Lieblingskomponisten von Brett Deans Vater, Felix Mendelssohn Bartholdy. Krönender Abschluss war eine detailliert phrasierte und schattierte, spritzige und groovende, leidenschaftlich lustvolle Aufführung von Mendelssohns „Italienischer“ Sinfonie.
DORIS KÖSTERKE
Das Konzert wurde mitgeschnitten. Am 6.7. wird es im Deutschlandfunk Kultur, am 23.09.17 und 30.09. auf SWR2 gesendet, jeweils um 20:03 Uhr.