Mitsuko Uchida beim Rheingau Musik Festival

Es durfte überraschen, dass Mitsuko Uchida, die „Grande Dame des Klaviers“, ihr Konzert beim Rheingau Musik Festival im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg mit Mozarts „sonata facile“ (Nr. 16 C-Dur KV 545) begann: Mozart hatte sie in seinem Werkverzeichnis als „Eine kleine klavier Sonate für anfänger“ bezeichnet und wohl tatsächlich für Klavierschüler geschrieben. Das Rätsel löste sich im zweiten Teil des Konzertes, in der „Sonatina facile“ von Jörg Widmann. Der 1973 geborene Klarinettist und Komponist hatte dieses Auftragswerk von Elbphilharmonie, Carnegie Hall und Mitsuko Ushida ohrenscheinlich sehr nah an der Mozartschen Vorlage entlangkomponiert, wenn auch mit Ausflügen in erweiterte Tonalitäten, in Idiome zeitgenössischer Unterhaltungsmusik und in energetische Zustände, die an die Wutausbrüche übender Klavierschüler denken ließen, wenn sich etwas, das ganz leicht und einfach klingt, keineswegs so einfach spielen lässt. Mitsuko Uchida hatte spürbar Spaß an Widmanns Stück. Aber auch schon Mozarts Original hatte sie alles andere als konventionell und routiniert daherkommen lassen: aus der sicheren Distanz eines vom langen Atem gespannten Bogens hatte sie es als ein Schillern zwischen Reflexion und Verspieltheit gestaltet, in idealer Balance zwischen metrischer Strenge und organischer Agogik und einem kurzfristig hemmungslosen Umkippen des zweiten Satzes ins Gespenstische, in dem sich der zweite Schwerpunkt des Abends ankündigte: Robert Schumanns „Kreisleriana“ op. 16 und Fantasie C-Dur op. 17.

Beide Werke sind 1838/39 entstanden, als Schumann mit der Ablehnung durch seinen künftigen Schwiegervater kämpfte. Vergleichsweise frühe Werke also. In der Interpretation durch Mitsuko Ushida zeichneten jedoch beide bereits klar den Weg des Komponisten zwischen Genie und Wahnsinn und sein Ende in Letzterem vor. Die 1948 geborene Diplomatentochter näherte sich dem ohne Berührungsängste. Mit der gleichen liebevoll reflektierten Genauigkeit, mit der sie schon bei Mozart jedem Vorhalt und jedem Trugschluss eine philosophische Tragweite verliehen hatte. Vorbehaltlos prächtige Klangmalereien brachen jäh um in luzide Innigkeit, religiös anmutende Askese und visionäre Klarheit wichen überbordend wuchernden Phantasiegewächsen.

Lange hielt Mitsuko Uchida die Spannung nach dem Ende der „Fantasie“ in tiefer Niedergeschlagenheit.

Hier hätte Schluss sein können. Zumal die Ausgangstonart C-Dur wieder erreicht und damit der Bogen des Konzertes geschlossen war, mit einer Katharsis, wie in einer griechischen Tragödie: Seht, was mit einem begabten Menschen passieren kann, achtet auf Eure Psychohygiene!

Doch der dankbare Beifall zauberte ein Schmunzeln auf das Gesicht der „Grande Dame“ und die restlos überzeugend ausgereifte und tief beeindruckende Künstlerin spielte, was in dieser Situation das einzig Richtige schien, ganz leise und verhalten: Bach.

Mitsuko Uchida war hier wie eine unprätentiöse Hohepriesterin begegnet: demütig, erhaben und abgrundtief ehrlich.

DORIS KÖSTERKE