Mieczyslaw Weinberg,Trio Vivente und Kateryna Kasper

„Nimm mich mit!“

Ein Ernstes Gespräch

Trio Vivente und Kateryna Kasper konfrontieren in der Festeburgkirche mit Kompositionen von Dmitri Schostakowitsch und Mieczyslaw Weinberg

 

In diesen Schuhen könne sie nicht mit, sagte der große Bruder zu seiner kleinen Schwester und setzte die Flucht nach Russland alleine fort. Seine Schwester wurde, zusammen mit seinen zurückgebliebenen Eltern, von den Nazis ermordet.

In der Festeburgkirche erzählte Pianistin Jutta Ernst diese Geschichte, bevor sie zusammen mit Geigerin Anne Katharina Schreiber und Cellistin Kristin von der Goltz als Trio Vivente das 1945 geschriebene Trio op.24 F-Dur von Mieczysław Weinberg (1919-1996) spielte.

Das Werk sperrt sich dagegen, als musikalisches Rauschmittel konsumiert zu werden: folkloristisch-fröhliche Melodien klingen an und verirren sich oder entgleisen: im Dickicht der Linien, in Ratlosigkeit, ins Fratzenhafte.

Als der Krieg vorbei war, hätte Weinberg, wie manch ein anderer, auch süffige Gebrauchsmusik schreiben können, um vergleichbare Erlebnisse und Skrupel zu verdrängen. Damit hätte er es in Stalins Sowjetunion sogar gut gehabt. Seiner Ehrlichkeit, um derentwillen sein Freund und Mentor Dmitri Schostakowitsch ihm aus so mancher Patsche helfen musste, hat das Trio Vivente vorbehaltlos nachgespürt und seinem Publikum das sperrige, emotional spröde Werk präsentiert wie ein sehr ernstes Gespräch.

Vorangegangen waren Weinbergs Jüdische Lieder op.13, gesungen von Kateryna Kasper mit ihrem im Pianissimo wunderbar weich ansprechenden und reich aufblühendem Sopran, liebem Humor und gewinnendem Charme. A. Oratovski hatte die Lieder farblich abwechslungsreich für Klaviertrio bearbeitet, so dass bisweilen nur die Linien der Gesangsstimme und eines Streichinstruments sich umeinander wanden. Schade, dass diese Texte nicht im Programmheft abgedruckt waren, ebenso wie die der Romanzen-Suite nach Worten von Alexander Blok op. 127 von Dmitri Schostakowitsch, die das Konzert beschloss.

Weinberg wurde bisweilen als Schostakowitsch-Epigone gehandelt. Aber auch Schostakowitsch zeigte Weinberg jedes Werk, bevor er es veröffentlichte. Erst, wenn man Weinberg kennt, könne man Schostakowitsch verstehen, findet die in Berlin lebende Pianistin Elisaveta Blumina, die unter anderem Gidon Kremer für Weinberg begeistert hat. Nach dem Weinberg-Erlebnis – und dank der hintergründigen Interpretation durch das Trio Vivente – empfand man die in Schostakowitschs sehr viel früher entstandenem Trio Nr. 1 op. 8 immer wieder aufs Neue beschworene Idylle, als würde sie mit jeder Bekräftigung unglaubwürdiger.

Zugabe war Weinbergs Lied „Das Schiffchen“ mit den Schlusswort „Nimm mich mit!“.

DORIS KÖSTERKE

 

In der Oper Frankfurt finden die nächsten Aufführungen von Weinbergs Hauptwerk, „Die Passagierin“, am 18. 24.3.2018 statt.