Lucas Debargue beim Rheingau Musik Festival

Next Generation: Lucas Debargue, Klavier

„Jeder Vorhalt bei Mozart ist eine heruntergeschluckte Träne!“ – aus pädagogischen Gründen hatte Alfred Stenger mit diesem Hinweis ein bisschen übertrieben. Aber in Mozarts Sonate für Klavier Nr. 9 a-Moll KV 310 konnte die nicht ganz bekehrte Mozart-Hasserin ihn nachvollziehen. Dieses Werkes nahm sich der Klavier-Senkrechtstarter Lu­cas Debargue in seinem Konzert auf Schloss Johannisberg mit stupender Virtuosität an, im ersten Satz den inneren Widerspruch des „allegro maestoso“ in elegant perlende Hochgeschwindigkeit auflösend, im Mittelsatz fein aussingend, in extremer Verhaltenheit die Aktivität des Publikums herausfordernd, das den Klängen innerlich ein Stück entgegenkommen musste. Das Pre­sto schließlich hängte er an weit gespann­tem Atem auf, deutlich die Hauptstimmen aus dem „musikalischen Unterholz“ hervorhebend. Es folgte die nicht minder finstere Schubert-Sonate a-Moll D 784: Geistesgegenwärtig gestaltete er die rasch miteinander abwechselnden Extreme, die Pianissimo-Passagen nahe der Hörschwelle, Fortissimo-Passagen mit mark­erschütternder Kraft, die Legato-Passagen fein aussin­gend, die Läufe und Akkordbrechungen in rauschender Geschwindigkeit, technisch exakt, ohne jede Nachlässigkeit.

Dabei war dem 1990 gebore­nen Franzosen, der das Klavierspiel ver­gleichsweise spät begann, es früh wieder an den Nagel häng­te, sich als Zwanzigjähriger wieder da­ransetzte, fünf Jahre später von einem renommierten Preis auf die auf großen Kon­zertbühnen der Welt und in einen Vertrag mit Sony Clas­sical katapultiert wurde, aber angesichts vielfältiger anderer Interessen nicht weiß, ob er sein Leben dauerhaft an das Instrument binden möchte, keineswegs Gefühlsduselei vorzuwerfen. Unbekümmertheit um die emotionalen Abgründe jedoch auch nicht. Vor allem nicht in der mit gesteigertem Engagement angegangenen Sonate für Klavier Nr. 2 A-Dur op. 21 von Karol Szymanowski, die expressionistisch bis kubistisch wirkte mit ihren verfremdeten Anklängen an ver­traute Idiome und fast surrealistisch in den an Chopin erinnernden choralähnlichen Einbrüchen in wilde Ausdruckswelten.

Wer unverbesserlich die Erwartung hegt, Musik möge ihm etwas „sagen“, war immerhin beeindruckt von einem keinesfalls trivialen, aufrichtig hart arbeitenden und ernstzunehmend-außergewöhnlichen jungen Menschen.

DORIS KÖSTERKE