UA Bára Gísladóttir, Sarah Nemtsov

Uraufführungen zur Eröffnung der Darmstädter Ferienkurse 2018

 

 

Eine Atmosphäre fröhlicher Offenheit rahmte das Eröffnungskonzert der Darmstädter Ferienkurse in der Großen Sporthalle der Lichtenbergschule. Das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Baldur Brönnimann hatte noch bis kurz vor dem Einlass der Zuhörer geprobt. Die Stücke seien heikel, aber gut, hieß es aus Reihen der Orchestermusiker.

Bára Gísladóttir: VAPE

Die 1989 in Island geborene Bára Gísladóttir hat sich zu ihrem 2016/17 entstandenen Orchesterstück VAPE durch den Sarin-Angriff in der U-Bahn von Tokio am 20. März 1995 anregen lassen: den fünf Mitgliedern, die das in Kunststoffbeuteln verpackte Nervengift in fünf Pendlerzügen einbrachten, sollten fünf Gruppen von Instrumenten entsprechen. Im kaum hörbaren, geräuschnahen und konspirativ beklemmenden Eingangsklangnebel meinte man zumindest Flöte und Kontrabass als Attentäter identifizieren zu können. Als die Schlagzeuger sich an großen Plastikpaketen zu schaffen machten kombinierte man: jetzt sind die Attentäter kurz vorm Austeigen und bearbeiten die Pakete mit ihren Regenschirmspitzen, damit das bis dahin flüssige Sarin verdampfen und sich in Zügen wie U-Bahn-Stationen verteilen kann. Als Hörer im klanglich Nebulösen tappend dachte man, dass bei höherer Qualität des Sarins und einer professionelleren Methode der Verbreitung weit mehr als „nur“ 13 Menschen sterben und über sechstausend würden verletzt werden könnten.

Sarah Nemtsov: dropped.drowned

Dass viel Können dazugehört, um solche Klänge herzustellen, dachte man auch in „dropped.drowned“ (2017) der 1980 in Oldenburg geborenen Sarah Nemtsov: Im Vergleich zur zuvor erzählten Geschichte wirkte dies eher wie ein abstrakter Malvorgang mit dicken und dünnen, energischen und zarten Strichen im Fluss eines Schaffensvorgangs, der manchmal fließt, sich manchmal überschlägt und manchmal stockt, wobei man an das Zitat der neuseeländischen Schriftstellerin Janet Frame im Einführungstext der Komponistin dachte, dass Menschen die Stille fürchten, weil darin, wie im klaren Wasser, alles sichtbar wird: weggeworfene Gedanken etwa, vergrößerte Schatten seiner selbst. In der Musik schienen es Rufe aus einer anderen Welt, deklamiert wie in Dringlichkeit, aber nicht zu dechiffrieren. Als flirrende Geigenklänge das Gefühl gaben, es könnte Schluss sein, dachte man an den ebenfalls im Programmtext geschriebenen Satz: „Das Loslassen ist eine der schwierigsten Übungen, nicht nur in der Kunst“. Der tatsächliche Schluss dieses Stückes war denn auch ein Unüblicher. Etwas fiel, dann noch etwas. Und das Stück hörte auf, als müsse man sich jetzt um etwas anders kümmern.

Simon Steen-Andersen: Piano Concerto

Das Piano Concerto von Simon Steen-Andersen wurde bei den Donaueschinger Musiktagen 2014 uraufgeführt und vielfach preisgekrönt. Wer das Stück zum zweiten Mal sah, dem schien es auch in dieser Aufführung an seiner Entwicklung gemessen zu lang. Kleinere Dosen Klamauk hätten genügt.

Es kombiniert die Live-Aufführung mit einem Video, das, mit Methoden wie Wiederholung, Motiv-Abspaltung, zeitlicher Dehnung und Raffung oder „Krebsgang“ wie Musik komponiert ist. Das Grundmaterial ist die Zeitlupen-Aufnahme eines aus einiger Höhe fallenden Flügels, der beim Aufprall auf den Boden zwar in Teilen zerschellt, dank seiner drei Beine als Knautschzone jedoch so erstaunlich stabil bleibt, dass der Pianist ihm noch vergleichsweise vertraute Klänge entlocken kann. Nicolas Hodges zeigte sich hier in seiner Doppelbegabung als Pianist und Komiker, der etwa seinem Double auf der Leinwand zunickt, es solle nun fein nachspielen, was er vorspiele. Aber das Double schaut ausdruckslos ins Publikum, während das Orchester seinen Part übernimmt.

Natürlich ist es gekonnt, wenn ein Orchester tatsächlich klingt wie ein verstimmtes Bar-Piano. Und natürlich ist es witzig, wenn dazu der Flügel im vor- und zurücklaufenden Video ein Tänzchen hopst, bei dem die Splitter beim Aufprall auseinanderstieben und beim Hochfedern wieder zum Ganzen finden. Aber wo liegt der kulturelle Nährwert?

DORIS KÖSTERKE
14.07.2018