Happy New Ears für Mathias Spahlinger

 

Ein Bein im Jazz, eins in der Oper, wo sein Vater als Cellist wirkte. So sei er in Frankfurt aufgewachsen, erzählte Mathias Spahlinger. Ihm war das jüngste Werkstattkonzert Happy New Ears im Holzfoyer gewidmet. Dafür kehrte der 1944 geborene Komponist an den Ort zurück, wo er 1954 unter Frankfurts damaligem Generalmusikdirektor Georg Solti im Kinderchor gesungen hatte. Enno Poppe leitete das Ensemble Modern zunächst durch das 1991/92 entstandene „furioso“, ein Stück, dessen scheinbar beziehungslose Pointilismen sich bisweilen flüchtig zu fasslichen Mustern zusammenfinden, die ebenso wieder zerfließen.

Musik gegen „falsches Bewusstsein“

Der Partitur vorangestellt ist ein Zitat aus Hegels Phänomenologie des Geistes (Kap. VI B III): „Kein positives Werk noch Tat kann also die allgemeine Freiheit hervorbringen; es bleibt ihr nur das negative Tun; sie ist nur die Furie des Verschwindens“. Im Gespräch mit dem Komponisten bemühte sich Enno Poppe redlich um Verständlichkeit. Wiederholt fragte er Spahlinger, der unter anderem auch Philosophie studiert hat und von „falschem Bewusstsein“ sprach, „Was ist ‚falsches Bewusstsein‘?“. Verbal blieb eine stimmige Antwort aus, musikalisch ahnte man sie: Spahlinger schafft seine musikalischen Ordnungskriterien, indem er herkömmliche in Frage stellt: Aus Prinzip. Nicht, um dauerhaft neue zu etablieren.

Negative Musik

Denn die würden ja dann ebenso wieder zu einem Klischee. Wie der böhmische Tanz Furiant, der (ironisch) in die Namensgebung hineinspielte: Einerseits „negieren“ Zweier- und Dreiermetren sich darin gegenseitig: sobald man eine Zweiermetrik (EINS-zwei, EINS-zwei) erwartet, folgt – ääätsch! – ein Dreier (EINS-zwei-drei-EINS-zwei-drei) und umgekehrt. Allerdings mit einer Regelmäßigkeit, die Tänzern und Musikern ins Blut übergegangen ist. Eine solche Regelmäßigkeit will Spahlinger vermeiden. Doch bei allen Versuchen, rein „negative“ Musik zu schreiben, erzeugt er nolens volens eine neue Ordnung. Die als musikalische Logik empfunden wird. Besonders von den Musikern, die sich mit den Stücken sehr viel genauer und ausgiebiger beschäftigen, als Zuhörer.

David Haller spielt „ausnahmslos ausnahmen“

Laut Spahlinger ist die Neue Musik seit 1910 kein „Stil“, sondern eine „Methode der kritischen Selbstreflexion“. Eine, die offen macht. Wie unter Jazzern, die im spontanen interkulturellen Zusammenspiel eine rein individuelle Wertschätzung füreinander entwickeln. Jazz, sagt Spahlinger, ist die Negation des militärisch marschierenden Viervierteltakts durch den Swing. Für sein „ausnahmslos ausnahmen“ (2013) für Drumset hat Spahlinger vertraute Schlagmuster so miteinander verzahnt, dass sie den „deutschen“ Viervierteltakt negieren. David Haller spielte das an den Rändern des körperlich Machbaren vexierende Stück ohne jeden Vorbehalt. Einhelliges „Bravo!“.

DORIS KÖSTERKE
12.03.2020