Ensemble Nevermind in der Alten Oper

Barockmusik und Fiddle-Weisen

In fast allen Kulturen der Welt – nicht nur im Jazz – wird Musik improvisiert. Der detaillierte Notentext ist ein Sonderfall und zugleich der Grund, warum „klassische“ Musik bisweilen als leblos empfunden wird: Wo er nicht von der gesamten Persönlichkeit eines Interpreten „wiederbelebt“ wird, führt er bestenfalls zu einem netten Konversationsklang. Doch die vier jungen Musiker des Ensemble Nevermind wollen mehr. Der Fokus des Ensembles, das sich in Paris am Conservatoire National Supérieur de Musique zusammengefunden hat und im jüngsten der Bachkonzerte im Mozart Saal zu Gast war, liegt in der Barockmusik. Aber die quirlige „Frontfrau“ Anna Besson flötet auch Uraufführungen, Cembalist Jean Rondeau ist auch als Jazzer aktiv und die beiden Streicher, Geiger Louis Creac’h und Gambist Robin Pharo, zeigen eine hohe Affinität zum Fiddlen.

Doch erst gab es Barockmusik: ein mit viel Spielwitz aufbereitetes Viertes aus Telemanns Neuen Pariser Quartetten und eine etwas unterschätzt daher plätschernde Sonate von Bach (BWV 529). Doch schon bauten zwei von britischer Volksmusik inspirierte Kompositionen von Francesco Geminiani die Brücke zur keltischen Folklore: Der 1687 in Lucca geborene, 1762 in Dublin gestorbene Geiger (im offensichtlich zu schnell geschriebenen Programmtext gab es noch mehr Fehler) wirkte ab 1714 in London, später in Irland. Unter anderem schrieb er eine Violinschule mit Richtlinien, wie man die gleichsam als „Gerippe“ notierten Barockmusiken mit improvisierten Diminutionen zu füllen habe. Von Geminiani war es nur ein kleiner Schritt zu den vom Publikum begeistert beklatschten, vom Nevermind-Cembalisten Jean Rondeau arrangierten Improvisiationen über Port na bPucai und On yonder Hill There Sits a Hare. Improvisationen über das La Folía-Thema, der wohl populärsten psychedelischen Droge der Musikgeschichte, führten wieder zu barocken Kompositionen zurück: Zum Sechsten aus den Neuen Pariser Quartetten von Telemann und zu einer weiteren Triosonate von Bach (BWV 1039). Auch hier schien die virtuose Musikantik noch über manches sinnstiftende hinweg zu huschen. Doch das Gesamtkonzept blieb erfrischend.

DORIS KÖSTERKE