Wunderbare Momente mit Pietari Inkinen

„Wir haben viele wunderbare Momente vor uns“, verhieß Pietari Inkinen als frisch gekürter Chefdirigent der Deutschen Radio Philharmonie im Herbst 2016. Nach dem Konzert, den der vor zehn Jahren aus der Fusion von Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken und SWR Rundfunkorchester Kaiserlautern hervorgegangene Klangkörper mit seinem neuen Chefdirigenten in der Mainzer Rheingoldhalle gab, dachte man: Momente, ja.

Wie eine idyllische Ansichtskarte klang die Aotearoa-Ouvertüre des neuseeländischen Komponisten Douglas Lilburn (1915-2001), entsprechend ihrem Titel, einem eher von Einwanderern gebrauchten Wort für Neuseeland aus der Sprache der Māori.

Das magnetische Pianissimo zu Beginn von Sibelius‘ Violinkonzert verriet musikalischen Gestaltungswillen. Ansonsten stand der ungarische Geiger Barnabás Kelemen im Mittelpunkt: Er wagte viel und beeindruckte technisch wie emotional. Doch zwischen ihm und dem Dirigenten fand keine wirksame Kommunikation statt. So wussten die Musiker nicht, wem sie folgen sollten, ihren Ohren oder den unentschiedenen Gesten des Dirigenten. Dass bei einem so schwierigen und rasenden Stück wie dem dritten Satz eine einmal entgleiste Intonation ebenso schwer wieder einzufangen ist wie ein rhythmisches Missverständnis, gehörte eher zu den begrüßenswerten Momenten des Konzerts: wie sonst soll man ermessen, wie schwierig diese Leistung ist, die sich auf CDs so glatt verkauft?

Als Hauptwerk des Abends hatte schon die launige Konzerteinführung durch Wolfgang Heitz alias Peter Tschaikowski dessen 4. Sinfonie angekündigt.

Fruchtbare Detailarbeit spürte man etwa gegen Ende des Ersten Satzes, im gefräßigen Grollen des schweren Blechs unter der zitternden Melancholie der Geigen, oder im zweiten Satz, in dem Inkinen mit der bloßen Hand die Klänge der Geiger malte. Als er dies für die Celli tat, nahm er den Dirigierstab in die Linke. Zu Beginn des dritten Satzes schwollen die ausgedehnten Pizzicato-Partien an und ab, als wären sie ein riesiger Insektenschwarm.

Doch diese aufwändige Feinarbeit schien längst nicht durchgängig geleistet. (Wann auch? Schließlich ist Inkinen international viel gefragt, nicht nur als Chefdirigent auch der Prager Symphoniker, beim Japan Philharmonic Orchestra und bei den Ludwigsburger Schlosskonzerten.) Als etwa, im zweiten Satz, die Bläser die höchste Erregung der Geigen mit einem gleichmütigen bla-bla-bla untermalten, fragte man sich: War das Ironie? Oder einfach nur unüberlegt? Allzu oft schienen etwa gesteigerte Lautstärken einfach nur vom Blatt gespielt, ohne eine gesteigerte innere Intensität zu spiegeln. Insgesamt schien Inkinen eher ein Gestalter für Momente von Schönklang, aber kein Stratege für tragfähige Spannungsbögen zu sein. Doch viel Teamgeist unter den Streichern, erfüllte Soli von Oboe, Fagott und Klarinette, sowie ein offensichtlich kollegiales Verhältnis zwischen Musikern und ihrem Chef geben Hoffnung auf „viele wunderbare Momente“.

DORIS KÖSTERKE