connect – das Publikum als Künstler, 2. Runde

Im Lichtkegel ein Kuscheltier. Eine große Trommel auf Rädern rumpelt über die Bühne im Frankfurt LAB und füllt den Raum mit ihren Resonanzen. Ensemble-Modern-Schlagzeuger Rainer Römer wirft das Kuscheltier in die Menge und winkt die Frau zu sich, die es ahnungslos gefangen hat. Durch Reiben entlockt er der Trommel die verschiedensten Klänge. Die Frau eifert ihm nach. Sie macht das gut!

Die Uraufführung von Oscar Bianchis ›Orango‹ begann mit einer mustergültigen Publikums-Beteiligung. Vor zwei Jahren hatte die Art Mentor Foundation Lucerne erstmals versucht, die sprichwörtliche »vierte Wand« der Bühne zwischen Künstlern und ihrem Publikum in vier europäischen Großstädten einzureißen: ihr Projekt connect – das Publikum als Künstler führte in Workshops interessierte Laien mit Komponisten und Ensembles für zeitgenössische Musik zusammen, um gemeinsam ein Konzert zu erarbeiten.

In der nun zweiten Runde des Projekts hatte der italienisch-schweizerische Komponist Oscar Bianchi die Teilnehmer der Workshops zum unüblichen Gebrauch ihrer Stimmen, von Blockflötenmundstücken und kleiner Perkussionsinstrumente ermutigt, um mit ihren Aktivitäten das Spiel der professionellen Musiker herauszufordern und umgekehrt. „Ich habe mich darin angenehm frei gefühlt“, erzählte Workshop-Teilnehmer Thomas Wunsch nach der Aufführung und Teilnehmerin Cornelia Jürgens-Leber begeisterte sich für viele Ideen Bianchis, die sich der Rezensentin beim ersten Hören nicht erschlossen hatten. – Hauptverdienst des Projekts connect – das Publikum als Künstler scheint also zu sein, den Zuhörern die Ohren zu spitzen.

Ein Kuscheltier-Wurfspiel gab es auch in Philip Venables „The Gender Agenda“ im Stile einer interaktiven TV-Show, in der der britische Komponist neben der Barriere zwischen Publikum und Künstlern auch die zwischen den Geschlechtern aufs Korn nahm. Über das Zuwerfen von rosa und hellblauen Plüschkätzchen wurden die Kandidaten zweier Gruppen ausgewählt. Sie traten beim Erfüllen verschiedener Aufgaben gegeneinander an, wobei eine Gruppe mit Schikanen zu kämpfen hatte, etwa mit einer an die Hand gebundenen Babypuppe. Die Workshop-Teilnehmer bildeten einen erstaunlich virtuosen Sprechchor, für das Ensemble Modern hätte man sich eine sehr viel selbstbewusstere Musik gewünscht und die aktive Rolle des breiten Publikums war darauf beschränkt, gemäß Anweisungen auf der Leinwand zu klatschen (und sich dabei zu wünschen, sie würden sich wie bei Marc-Uwe Kling zu einem Antiterroranschlag des asozialen Netzwerks entwickeln).

Insgesamt hatten die Teilnehmer der Workshops ein sehr viel tieferes Verhältnis zu den Stücken entwickelt, als die gemeine Kontrollgruppe. Klaus-Stefan Scheuermann, der schon 2016 dabei war, hat auch in diesem Jahr alle Workshops begeistert besucht: „Es macht mir immer wieder Spaß, etwas mit dem Ensemble Modern zu erleben“.

DORIS KÖSTERKE