Gespräch mit Shiva Feshareki über ihr „Opus Infinity“

 

Sie fühlt sich in der „drum n bass“- und Jungle-Kultur wohl. Darüber hinaus hat die Turntable-Virtuosin und Komponistin Shiva Feshareki auch einen PhD in Musik. Für das diesjährige „cresc…“-Festival mit dem Schwerpunkt „Human – machine“ – hat das Ensemble Modern ihr einen Kompositionsauftrag erteilt. Ihr Opus Infinity für Turntables, Orchester und Life-Elektronik ist, wie Shiva Feshareki sagt, „flüssige Architektur“.

Flüssige Architektur

Der Partitur ist eine bunte Bildkomposition vorangestellt: Der Plan, wie die einzelnen Instrumente im Raum positioniert sind, zwischen denen man sich als Zuhörer seinen Platz sucht. Die Klänge kommunizieren über den gesamten Raum. Wie in einem Hoketus, einer seit dem Mittelalter gebräuchlichen Musizierform, in der die einzelnen Töne einer Melodie auf verschiedene Instrumente verteilt sind. Im Zusammenspiel entsteht die Melodie neu und umso farbiger. Mitten im Raum steht der Tisch mit einem herkömmlichen Plattenspieler und einem CD-Player, dessen Drehgeschwindigkeit man ebenfalls durch buchstäbliches Eingreifen verändern kann. Die Turntable-Virtuosin improvisiert über die festgelegten Parts der Musiker. Ihre Klänge umwandern den gesamten Raum.

Aufstellplan wie Musik sind laut Komponistin nach gleichen Prinzipien gebaut. Nach Gesetzen, die man auch in der Natur findet, wie der Fibonacci-Reihe oder dem Goldenen Schnitt. Die im Großen erkennbaren Strukturen werden zur Mitte hin ins Unendliche verkleinert, wie sich, manchen Ansichten zur Folge, der Kosmos auch im Bau von Planzen und Lebewesen spiegelt. Die Unendlichkeit, auf die der Titel anspielt, zielt nicht nach außen, sondern nach innen.

“ … das Gegenteil von militärisch“

Bei den Proben für die Uraufführung fallen die vielen Kabel und Lautsprecher des eigens für diese Aufführung entwickelten Raumklangsystems auf. Wozu dieser Aufwand? Als Antwort klopft Shiva Feshareki auf eine Tischplatte: Erst nur an einem Ort, dann führen die klopfenden Hände ein Zwiegespräch über den Tisch hinweg. Schließlich bewegt sie das Klopfen über die gesamte Platte. Der Eindruck ist ungleich lebendiger und interessanter. „Was sie macht, ist das Gegenteil von militärisch“, merkt Christian Duka an, der als Programmierer an der Komposition beteiligt war.

Etwas, das allen Menschen gemeinsam ist

Shiva Feshareki, mit iranischen Wurzeln in London geboren und aufgewachsen, sucht nach etwas, das allen Menschen gemeinsam ist, das alle unabhängig von Herkunft und Bildungsstand „verstehen“. Wie in einer alten Geschichte die Blinden, die verschiedene Körperteile eines Elefanten betasten und zu völlig verschiedenen Schlüssen kommen, wie ein Elefant sei: wie eine Schlange, wie ein Säbel, wie eine Säule. Doch alle haben auf ihre Art Recht. Wie in einem Hoketus ergeben die verschiedenen Ansichten ein zutreffendes Bild.

Ein gedankenreiches Werk, das im Rahmen des „cresc…“-Festivals am Samstag, den 29.02.2020 in der Halle 1 des Frankfurt LAB ab 21:45 seine Uraufführung erleben wird.

DORIS KÖSTERKE
27.02.2020

Das Interview fand nach den Proben zur Uraufführung am 17.02.2020 statt.