Norbert Ommer ist Klangregisseur, nicht nur beim Ensemble Modern. Was das ist und was er macht war Gegenstand von zwei Gesprächen via Skype, deren Niederschriften er jeweils korrigiert und ergänzt hat. Die Quintessenz ist hier komprimiert:
Rebecca Saunders
Tania Rubio fasst indigene Gedanken in Musik
In der Musik spürt man seine gemeinsame Wurzel mit allem, was ist. Vielleicht nicht in jeder Musik. Wohl aber in der von Tania Rubio. Die 1987 geborene mexikanische Komponistin ist in diesem Sommer für knapp drei Monate als Composer in Residence in Frankfurt. …weiterlesen
Sprint mit Blumenstrauß für Komponistin
Der Titel Kesik (Schnitt) hätte sich auf die Luft im Mozart Saal beziehen mögen. Doch die türkische Komponistin Zeynep Gedizlioglu sah ihr gleichnamiges Ensemblestück als Bruch mit der Kultur, in die sie hineingeboren wurde: …weiterlesen
Happy New Ears – Portrait Enno Poppe
„Komponieren ist eine sehr einsame Tätigkeit. Da macht es unglaublich viel Spaß, zwischendurch mit einem Ensemble zu arbeiten: es ist gesellig, lustig und vor allem dann interessant, wenn man sich mit Werken lebendiger Komponisten beschäftigt“, erzählte Enno Poppe im Gespräch mit Rebecca Saunders im jüngsten Workshop-Konzert Happy New Ears des Ensemble Modern im Holzfoyer.
Seinen Ruf als Komponist verdankt Poppe auch seinem Ruf als Ensembleleiter. Vor zwanzig Jahren hat er das Ensemble Mosaik gegründet, um neben eigenen auch Werke anderer junger Komponisten aufzuführen. Seine Musiker schwärmen von der Atmosphäre aus guter Laune, sprühender Selbstironie und substanzreichem Witz, in der dort gemeinsame Klangforschung betrieben wird.
Beliebtes Forschungsobjekt des Ensembles ist die Musik der englischen Komponistin Rebecca Saunders. Bei einem Happy-New-Ears-Workshop im Februar 2017 hatte man über die feinfühlige Detailkenntnis gestaunt, mit der Poppe dem Publikum im Gespräch die Musik der Kollegin nahebrachte. Nun war der Spieß umgedreht.
„In vielen deiner Stücke fühle ich mich zu Beginn mit einem Nukleus konfrontiert, den du dann sehr stringent entwickelst“, sagte die Komponistin. In ›Fell‹ für Drumset solo, beeindruckend gespielt von Rainer Römer, nahm man ihren Hinweis als Wegweiser für das eigene Hören und begriff das Stück als organisches Sich-Entfalten und wucherndes Sich-Ausbreiten, das wie eine witzige Persiflage auf die Improvisation eines Rock-Schlagzeugers wirkte. „Ich habe die klanglichen Elemente einer solchen Improvisation analysiert und neu zusammengebaut“, verriet der Komponist.
Die Ensemblearbeit scheint in Poppe auch den Respekt vor der Arbeit jedes einzelnen Musikers gestärkt zu haben. Die beiden folgenden Ensemblestücke, ›Brot‹ (2008) und ›Scherben‹ (200/01 für das Ensemble Modern geschrieben) behandelten jeden Musiker als in seinen virtuosen Möglichkeiten geforderten und gewürdigten Solisten, während Poppes Dirigierbewegungen die eigentümlichen Bewegungen von Tieren und Menschen verschiedenster Größen, Charaktere und Temperamente nachzuahmen schienen, vexierend zwischen Einfühlung und humoristischer Distanzierung. Als Hörer kombinierte man die abstrahierten Bewegungsabläufe innerlich zu einem Drama, in dem höchst verschiedene, jeweils einer eigenen inneren Gesetzmäßigkeit folgende Persönlichkeiten miteinander agieren.
„Wenn ich sage: sie fallen einander ins Wort oder fallen übereinander her, dann ist das gegenüber der Musik sehr vergröbernd. So, als wollte ich das feine Minenspiel in einem Gesicht beschrieben, obwohl es unmittelbar verständlich ist“, sagte Poppe dazu und schmunzelt: „Aber kann ich etwa mit Recht behaupten, eine Mozart-Sinfonie zu verstehen?“
DORIS KÖSTERKE
Rebecca Saunders
„Alles, nur nicht das!”, habe er beim ersten Blick in die Noten von Rebecca Saunders‘ ›Fury II‹ gedacht: „So viel Vor-Information zu jedem einzelnen Klang!“. Im Werkstattkonzert ›Happy New Ears‹ des Ensemble Modern im Holzfoyer der Oper Frankfurt spielte Kontrabassist Paul Cannon seinen Part dann so natürlich, als hätte er ihn selbst improvisiert. Eine Riesenleistung des Interpreten, der wiederum die Komponistin lobte: sie kenne sich mit den einzelnen Instrumenten und ihren erweiterten Klang- und Spielmöglichkeiten aus, wie kein anderer.
Genau darauf wollte Enno Poppe hinaus, der als Moderator mit brillantem Einfühlungsvermögen in die Gedankengänge seiner Komponistenkollegin und als enorm präziser, exzellent vorbereiteter Dirigent zum überragenden Erfolg des Abend beitrug: Rebecca Saunders gehört zu den gefragtesten und faszinierendsten ihrer Zunft, weil sie ihr Handwerk versteht. Und (im Gegensatz zu Handwerkern, die den Alltag zur Hölle machen können) minutiös genau wahrnimmt und entsprechend genau plant. Der überwältigende Klangreiz ihrer Musik, die soghafte Intensität, die faszinierenden Binnenstrukturen, etwa im an diesem Abend erklungenen ›dichroic seventeen‹ (1998), sind nicht zuletzt die Früchte überragenden Könnens, das Rebecca Saunders, die im Dezember dieses Jahres fünfzig wird, unter anderem bei Wolfgang Rihm erworben hat.
Hinzu kommen ein vielleicht typisch englischer Mut, die eigene Individualität zu kultivieren, sowie eine große Portion visionärer Intuition. Und Allgemeinbildung. Und natürlich Interpreten wie die des Ensemble Modern, die sich diese sehr spezielle Sprache aufs Sensibelste zu eigen machen. Im von Samuel Beckett inspirierten Stirrings Still I (2006) müssen Altflöte (Dietmar Wiesner), Oboe (Christian Hommel), und Klarinette (Jean Bossier) in sich jeweils zweistimmig spielen. Das geht. Aber nur sehr leise und mit äußerster Konzentration. Und schafft eine entsprechende Atmosphäre bei den Zuhörenden. Im abschließenden ›Fury II‹ wollte Saunders, wie sie es im Gespräch mit Enno Poppe nannte, einem kontrabassistischen Energieausbruch Resonanz in anderen Instrumenten verschaffen. Man staunte über die Genauigkeit, mit der sie die geräuschhaften Begleiterscheinungen der mächtigen körperlichen Präsenz des Kontrabasses (mit noch weiter heruntergestimmter fünfter Saite!) analysiert, für Bassklarinette, Cello, Akkordeon, Klavier und Schlagzeug imitierbar aufbereitet und damit noch komponiert hatte.
Danke für diesen wertvollen Abend!
DORIS KÖSTERKE
1.3.2017