Hagen Quartett spielt Bartoks Sechstes

Während das Hagen Quartett das Sechste und letzte von Bartoks Streichquartetten spielte, verstand man Victor Hugo: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“.

Das anspruchsvolle Werk erklang im Herzog-Friedrich-August-Saal der Casino-Gesellschaft beim Verein „DIe kammermusik“. Entstanden ist es 1939: Bartok hatte sich vom Nationalsozialismus offen entsetzt gezeigt. Dafür wurde er in seiner veränderten Heimat angefeindet. Noch nicht bereit, sie endgültig zu verlassen, weilte er als Gast des Mäzens Paul Sacher in der Schweiz.

Wenn die Bratsche wie ein Banjo klingt

Das Werk ist eine tastende Suche. Auf der einen Seite herrscht tiefe Trauer, die jedes der vier Instrumente in einem eigenem Solo zum Ausdruck bringt. Auf der anderen steht bissig karikierte Popularmusik: Im zweiten Satz ließ Veronika Hagen ihre Bratsche wie ein Banjo klingen. Man meint Bartoks Ahnung zu hören, dass er im amerikanischen Exil nicht werde Fuß fassen können. Zugleich versteht man dies als Statement zu aktuellen populistischen Strömungen in Europa. Besonders nahe geht die Musik, wenn im Finalsatz ein letzter Aufschrei der endgültigen Beruhigung vorausgeht: der Tod seiner Mutter erscheint wie ein Symbol für Bartoks Lebenslage.

Nicht nur heiter gestaltete das Quartett die Italienische Serenade von Hugo Wolf, wobei mediterrane Leichtigkeit die emotionalen Regenwolken immer wieder überraschend in den Griff bekam.

Einst war das Hagen Quartett ein reines Geschwister-Quartett. Der große Bruder Lukas Hagen, geboren 1962, spielt noch immer buchstäblich die Erste Geige. Nur bisweilen wird ihm der Jüngste, Clemens (geboren 1966), am Cello zum Wiederpart. Die anderen fügen sich ein: die 1963 geborene Schwester Veronika an der Bratsche und Rainer Schmidt, Ersatz für die zur Humanethologie gewechselte Schwester Angelika, als Sekundarius.

Wandlungsfähige Gestaltung

In Schuberts Streichquartett D804 („Rosamunde“) zeigte sich die hohe Qualität des Quartetts darin, dass das Thema bei jedem seiner Auftritte einen völlig anderen Charakter trug: lieblich, bitter, beiläufig, beißend, schmelzend, schaurig, schmerzlich und in allen Facetten des unwiderstehlich Tänzerischen. Immer durch und durch reflektiert, nie automatisch, mit vorbehaltlosen Wechseln zum magnetisch Verhaltenen zu wohldosiert erschreckender Lautstärke. Intonatorische Freizügigkeiten, besonders in der ersten Violine, hörte man im Austausch dafür gern zurecht. Die Zugabe stammte aus Beethovens op. 135.

Dank an Mäzene

Ermöglicht wurde der Auftritt des außergewöhnlichen Quartetts in einem Saal, wie man ihn in Frankfurt nicht findet, durch Mäzene. Ihnen sei an dieser Stelle aufs Herzlichste gedankt. Wiesbaden braucht noch mehr davon. Damit immer mehr Menschen erkennen, dass sie „geistfähige Wesen“ sind.

Doris Kösterke
3.11.2019

 

Der Ausdruck „geistfähige Wesen“ ist angelehnt an eine Formulierung von Helmut Lachenmann, vgl. „Feindbild Entertainment„.