Volker Staub spielt eigene Kompositionen

Eine einzige lange Saite durchspannte die gesamte Länge des unteren Kellergewölbes im „Höchster Schlossplatz 1“. Als Resonatoren dienten zwei Ölfässer: Volker Staub braucht für seine Musik keine Megatechnik. In der Mitte stand ein Stuhl mit einer Schraubzwinge, die die schwingende Länge der Saite in zwei Teile teilte. Man erinnerte sich an Pythagoras‘ Versuche mit dem Monochord und kombinierte: Staub wird das erste Stück des Abends, Teil V aus seiner Komposition „Weiche Gesänge für Stahlsaite“ (1994-1997), eine Oktave höher spielen als den Teil III daraus, der den Abend beschließen sollte.

Unendliche Variation

Wenig später meinte man, einem Schamanen gegenüberzustehen, der diese Saite in einem energiereichen Prozess in geräuschnaher Weise mit zwei Schlegeln bearbeitete. Dass das Ganze kein improvisiertes Ritual, sondern die Aufführung einer Komposition war, erkannte man an Staubs Blick auf den Notenständer. Später bestätigte der Blick in den extrem differenzierten Notentext, dass der Rhythmus oft sehr ähnlich, jedoch nie gleich war. Kein einziger Takt sah aus wie ein anderer. Ihn interessiere die „unendliche Variation“, hatte Staub vor dem Konzert gesagt. Man findet sie zum Beispiel in den Blättern eines Baumes: sie sind einander sehr ähnlich und doch wieder ganz individuell gebaut, wenn man genau hinguckt. Das genaue Hinsehen und minutiöse Ausnotieren sind Markenzeichen des 1961 in Frankfurt geboren, mittlerweile mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichneten Komponisten, Musikers und Klangkünstlers.

Umweltkräfte

Ein weiterer Interessensschwerpunkt von Volker Staub sind Witterungsinstrumente, also Instrumente, die von Umweltkräften wie Wind oder Regen zum Klingen gebracht werden und in zahlreichen seiner begehbaren Outdoor-Klanginstallationen zu finden sind. Zuspielungen von solchen Klängen grundierten seine Komposition „Erinnerung / Studien“ für 12 klingende Granit-Bohrkerne (2010). Zwei der gleich dicken und etwa gleich langen, parallel arrangierten Steinstangen waren aus „belgisch Grau“, die anderen, deren Tonhöhe sich nur mikrotonalen Bereich voneinander unterschied, waren so genannte „Schwarze Schweden“. Staub bespielte sie mit kleinen Hämmern, oder rieb über sie mit einem weichen Stein, wiederum auf virtuose, wie improvisiert wirkende, obwohl durchkomponierte Weise.

Sirenen und Langsaiten

Tatsächlich weitgehend improvisiert war die vierte Komposition des Abends, „12 Volt und Atem für 2 Motorsirenen, Mundsirene und Becken“ (2008). An Sirenen wie an den Langsaiten, hatte Staub seinem Publikum erzählt, interessierten ihn die nahtlosen Übergänge zwischen Tönen und Klangfarben. Sowie die Klangeffekte, die sich ergeben, wenn zwei oder mehr solcher Veränderungsprozesse sich überlagern. Im zweiten Teil der Komposition bildeten die beiden Motorsirenen eine Art Bordun, über dem er mit der Mundsirene improvisierte. Reizvoll waren die Stromschwankungen, durch die diese Quinte immer wieder von ihrer Reinheit (im Sinne der 2:3-Teilung einer Saite) abwich. Es ergab sich ein Effekt wie bei einer indischen Tanpura, in der die mittleren Töne ganz leicht gegeneinander verstimmt sind und sich zu einem umso reicheren Obertonspektrum auffächern – hier verstärkt durch die einzigartige Akustik dieses Gewölbes in dem mit künstlerischer Sensibilität hergerichteten Altstadthaus des Fotokünstlers Jürgen Wiesner.

DORIS KÖSTERKE
21.12.2018