Neue Musik Nacht 3.0 „so fern so nah“

 

FRANKFURT. Beständig wechselnde Corona-Regeln formulierten den kreativen Auftrag: Die Neue Musik Nacht 3.0 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) sollte auch in diesem Jahr stattfinden. Glücklich entdeckten die Macher eine interaktive Online-Plattform, auf der sich die Livestreams der Konzerte mit Online-Spielen und Zoom-Treffen, auch der Besucher untereinander, kombinieren ließen. Unter dem Motto „so fern so nah“ knackte die digitale Variante die Marke von fünfhundert Besuchern.

Die bewährte Kombination aus spielerischen Elementen, Geselligkeit und Kulinarik neben mehreren parallelen Konzerten und Performances in verschiedenen Räumen der HfMDK wurde beibehalten. Maibowle nach vorab veröffentlichten Rezepten diente als flüssiges Bindemittel zwischen den Künstlern, ihrem Publikum und den Zuschauern untereinander. Ein Anblick der traditionellen Torte gelangte als Online-Puzzle in die Haushalte der Gäste.

Bei mindestens drei parallelen Aufführungen folgte die Auswahl der hier besprochenen oft dem Zufall. Das breit gefächerte Angebot band auch das Institut für historische Interpretationspraxis (HIP) mit ein: „Die Studierenden fragen mich immer wieder, ob sie nicht auch mal mit einem noch lebenden Komponisten zusammenarbeiten können“, erzählte die Programmleiterin und Geschäftsführerin des Instituts für zeitgenössische Musik (IzM) an der HfMDK, Dr. Karin Dietrich. So erklangen im Kleinen Saal der Musikhochschule zeitgenössische Kompositionen für Cembalo oder Blockflöte. In einem selbstkomponierten Stück von Blockflötistin Hanna Volgmann staunte man, dass alle Klänge aus der Altblockflöte stammten, ohne elektronische Zutaten.

Im neu eingerichteten AV-Studio der Hochschule stellten sich Jungstudenten der Young Academie vor. Geigerin Anne Sophie Luong und Pianist Linus Reul (geboren 2004 und 2005), beide bereits bei internationalen Wettbewerben erfolgreich, spielten die ersten beiden Sätze aus der Ersten Violinsonate von Alfred Schnittke. Am Anfang, erzählte Anne Sophie Luong, fanden sie das Stück „völlig chaotisch“. Aber nach und nach tasteten sie sich an die Musiksprache heran. Mittlerweile klingt der erste Satz emotional verständlich und der zweite Satz sprüht vor Jazz-typischer Energetik.

Im fliegenden Wechsel zwischen gesprochener Sprache, Geräuschen und Belcanto ließ Katharina Blattmann in „Récitation Nr. 8“ von Georges Aperghis die Logik der Komposition einleuchten.

Das Malbec Klavierquartett (Carolin Grün, Violine – Maria del Mar Mendivil, Viola – Dominik Manz, Cello und Anna Stepanova, Klavier) ließ in „The Water of Lethe“ von Toshio Hosokawa den Klang sehr allmählich über die Hörschwelle gleiten und wieder verschwinden. Auch über dramatische Strecken hinweg bewahrte das Quartett eine hart erarbeitete Ruhe. Im ersten Satz von „Lalavi“ von Farzia Fallah, gespielt von Selma Spahiu (Violine), José Batista Junior (Viola) und Clara Franz (Cello), schien die reiche, irisierende Klanglichkeit persischer Musik auf. In der „Glosse“ für Streichquartett von Luciano Berio vermittelt das Merian Quartett (Katharina Schmitze und Henning Ernst, Violinen – Belén Barbera, Viola und Lara Jacobi, Cello) den Klangreiz etwa eines um die Greifhand kreisenden Pizzicatos.

Der Flügel, ein Boot

Drei „Action concert pieces“ von Lucia Ronchetti, der diesjährigen Stiftungsgastprofessorin der Hochschule, forderten die Musiker in besonderem Maße auch szenisch unter der Regie von Nelly Danker. In „Lascia ch’io pianga“ stellte der Flügel ein Boot dar, das auf dem von Pianistin Elvira Streva farbenreich ausgestalteten Mittelmeer treibt. In diesem Flügel liegend vexierte Sopranistin Roqi Sun zwischen schwerelos blühender Höhe und hochdramatischem Ausdruck. In „Ravel Unravel“ gestalteten Elvira Streva und Cellistin Leonie Mayer vorbehaltlos expressiv den Machtkampf zwischen dem Komponisten und seinem Interpreten. In „William Wilson“ nach einem Text von Edgar Allan Poe brillierte der aktuelle IEMA-Stipendiat Zacharias Faßhauer. Neben virtuosem Kontrabass-Spiel führte er seine Stimme souverän durch das gutturale Flüstern, das Edgar Allen Poe dem Doppelgänger von William Wilson zuschreibt und bühnenwirksam markiges Donnern zu einem theatralischen Erlebnis.

DORIS KÖSTERKE
30.4.2021