Mozarts Inspiration nachgespürt

 

ELTVILLE-ERBACH. In seinem Requiem scheint es, als habe Mozart im „Dies irae“ seine eigene Todesangst auskomponiert, im „Quam olim Abrahae promisisti“ seine Zuversicht untermauert und im Schluss himmlische Seligkeit vorweggenommen. Die Binnensätze konnte er nicht mehr vollenden. Nach Mozarts Tod brachte sein Schüler Franz Xaver Süßmayr, der bekanntlich mehr Interesse an Mozarts Frau als an dessen Musik hatte, die Fragmente in eine aufführbare Fassung. Seitdem haben Musiker und Wissenschaftler immer wieder versucht, Süßmayrs Arbeit zu verbessern.

Requiem-Fassung von Michael Ostrzyga

Der Kammerchor ChorWerk Ruhr stellte bei seinem Debut beim Rheingau Musik Festival in der Basilika von Kloster Eberbach eine teils hier erstmals aufgeführte Fassung vor, die der Kölner Dirigent und Komponist Michael Ostrzyga im Auftrag der Harvard University erarbeitet hat. Sein Ausgangspunkt war die Suche nach „Mozarts spezifischer Inspiration“. Es ging ihm „darum, alles in Mozarts Sinne aus den alten Handschriften der anderen Autoren heraus zu kristallisieren, und nur zu ergänzen, und zu verändern, wenn dies durch die Flugbahn des Requiem-Fragments und Mozarts Stil und Ausrichtung 1791 angezeigt war“, schrieb er der Autorin. Wiesbadener Chorsänger kennen die Rekonstruktion der Amen-Fuge nach dem Lacrimosa durch Martin Lutz. Ostrzyga hat seine im Vergleich dazu weiter ausgedehnt, gemäß den Proportionen, die er im übrigen Werk vorgezeichnet fand. Für das Sanctus stellt Ostrzyga in seiner Edition, die demnächst bei Bärenreiter erscheinen wird, zwei Versionen zur Auswahl. Die an diesem Abend erklungene endete in der gleichen Tonart, in der das Benedictus beginnt, so dass dessen Instrumentalvorspiel entfallen konnte.

Die vom ersten bis zum letzten Ton ungemein spannungsvolle Aufführung durch die 16 Frauen und 16 Männer des ChorWerk Ruhr und das auf historischen Instrumenten spielende Concerto Köln zeichnete die für Mozarts Spätstil typischen, krassen Gegensätze nach, die Mozarts Zeitgenossen erschreckt hatten. Mit großem Engagement reagierten die Sänger auf das fordernde Dirigat von Florian Helgath. Unter dieser forschen Musizierhaltung stellte sich die mit dem Tod versöhnende Seligkeit in den drei Schluss-Sätzen leider nicht ein. Dem großartigen Gesamteindruck vom ChorWerk Ruhr schadete dies nicht. Er blieb geprägt vom Konzertbeginn: mit sensationeller Klangkultur sangen die Männerstimmen im Rücken des Publikums das Libera Me von Ignaz von Seyfried, das am Grabe Beethovens gesungen wurde.

Unter den Solisten gefielen der angenehm schlank und vibratofrei geführte Alt von Anke Vondung, der einfühlsame Tenor von Tilman Lichdi und der kernige Bariton von Tobias Berndt. Zugabe war Mozarts Motette Ave verum corpus.

Eine Aufnahme in der Besetzung dieses Abends wird für Coviello Classics produziert.

Doris Kösterke
15.8.2019