Erinnerungen an Prades I – Brüder Capuçon und Frank Braley

Humanismus, Freiheit, Demokratie
oder
Lebenwollen und Sterbenmüssen

Erinnerungen an Prades I, Brüder Capuçon und Frank Braley beim Rheingau Musik Festival auf Schloss Johannisberg

 

„Aber Gautier ist noch nicht da!“ – „Ruf ihn an, dass er kommt! Die Abfolge muss bleiben! So habe ich das Konzert vor 51 Jahren gehört und so hat es mich berührt“. Rheingau-Musik-Festival-Gründer Michael Herrmann verteidigte die Reihenfolge im ersten Konzert der Reihe „Erinnerungen an Prades“ im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg und erzählte, wie er (derzeit zwanzig) am 30. Juli 1966 das gleiche Programm von David Oistrach, Pablo Casals (derzeit neunzig) und dem drei Jahre später verstorbenen Pianisten Julius Katchen gehört hatte, mit dem Herrmann befreundet war: in Prades, in den französischen Pyrenäen. Casals lebte dort seit 1939 im selbstgewählten Exil. Sein 1950 gegründetes Kammermusikfestival zog die besten Musiker der Welt auch deshalb an, weil Prades für sie ein Symbol für Humanismus, Freiheit und Demokratie war.

Aber wie spielt ein Cellist, wenn er ungeplanter Weise im Konzert eine Stunde früher dran ist? Im Falle von Gautier Capuçon in Schuberts Trio für Klavier, Violine und Violoncello Es-Dur op. 100 D 929, das Schuberts Lebenwollen und Sterbenmüssen reflektiert, mit existentiellem Einsatz und in bestem Einvernehmen mit seinem älteren Bruder Renaud und ihrem langjährig vertrauten Klavierpartner Frank Braley. Man verstand, warum die Musiker dieses Werk an den Schluss des Konzerts hatten setzen wollen.

Begonnen hatte das Konzert mit Johann Sebastian Bachs Zweiter Violinsonate A-Dur BWV 1015. Braley gestaltete den Part auf dem Klavier so transparent, dass Renaud Capuçon den warmen weichen Klang jener Guarneri-Violine entfalten konnte, die Isaak Stern gehört hatte. Nach der Pause ließen beide zusammen Beethovens „Kreutzersonate“ aufleben: kompromisslos tiefschürfend, von den Seufzern der Verzweiflung bis zum bedrängenden Presto, als sorgten sie sich im Namen des freiheitsliebenden Komponisten um den Humanismus in unserer Demokratie.

Für die Zugabe, dem posthum veröffentlichten „Notturno“ (Adagio Es-Dur D 897) von Franz Schubert, kam auch Gautier Capuçon noch einmal auf die Bühne: Der Kreis zum Trio op. 100 schloss sich über die Kreutzer-Sonate hinweg.

Die weiteren Konzerte der Reihe „Erinnerungen an Prades“ finden am 10., 20. und 24.8.2017, jeweils auf Schloss Johannisberg statt.

DORIS KÖSTERKE