François Leleux bei Barock+

Ein Fenster voller Regentropfen: der Blick hinaus ist vertraut. Aber jeder Tropfen fügt ihm eine eigene Brechung hinzu. Die Fantasie läuft auf Hochtouren, sieht Häuser schmelzen oder wettet auf den Verlauf neuer Fernstraßen zwischen Himmel und Erde. Eine ähnliche Erfahrung vermittelte das von François Leleux geleitete hr-Sinfonieorchester im jüngsten Konzert der Reihe Barock+ im hr-Sendesaal im zweiten Satz der „Three Studies from Couperin“ von Thomas Adès. Auch in den anderen Sätzen blieben die Vorlagen als barocke Cembalostücke erkennbar, waren jedoch in Klangwelten gekleidet, die sie (noch) verlockender erschienen ließen, als wenn sie einem quasi nackt gegenübergetreten wären. In der ersten Studie wirkten Bläserklänge durch die asymmetrisch aufgesetzten Streicher-Pizzicato-Akzente wie geknickte Pailletten. Die Instrumentierung der Dritten erinnerte an Gustav Mahler. Gerne hätte man in der von Andreas Bomba gehaltenen Einführung mehr über dieses Stück erfahren, das von allen Stücken des Abends am intensivsten geprobt wirkte.

Die kunterbunt instrumentierte Suite aus der Oper »Les Indes galantes« von Jean-Philippe Rameau verriet anschauliche Gesamtvorstellungen von den einzelnen Sätzen, etwa das säbelrasselnde Prolog, in dem die Kriegsgöttin von den Jugendlichen Europas verlangt, ihren zärtlichen Trieben zugunsten von Taten auf den Schlachtfeldern zu entsagen. (Sollte der Tamburin-Part improvisiert gewesen sein, hätte man ihn sich ausgedünnter und weniger schematisch gestaltet gewünscht). Im Kontrast dazu gelang der Auftritt der Auftritt der Hebe, der Göttin der Jugend, wunderbar zart, graziös und biegsam. Nach diesen gelungenen Charakterisierungen in den ersten Takten verloren die Sätze jedoch an emotionaler Präsenz und schienen nicht mehr als schematisch abzulaufen. Als heruntergespielten Notentext empfand man auch das Joseph Haydn zugeschriebene Oboenkonzert C-Dur, in dem François Leleux, als Star-Oboist »Artist in Residence« der hr-Sinfonieorchester-Saison 2016/17 mit enorm wendigen, dabei samtweichen Oboenklang wahre Begeisterungsstürme entfachte. Im Vergleich zur Adés-Interpretation wirkten auch die so genannten Haydn-Variationen von Johannes Brahms über den reizvoll asymmetrisch gebauten Choral St. Antonii eher aus dem Ärmel geschüttelt. Allerdings mit so viel Humor und verschmitzter Leichtigkeit, dass man den Abend als Ganzen durchaus genoss.

DORIS KÖSTERKE