cresc…2017 Zwischen Kunst und Politik

Kann man mit Kunst die Welt verbessern? Ilan Volkov, der die meisten Orchesterwerke dirigiert, die bei der „Zwischen Kunst und Politik“ überschriebenen „cresc.“-Biennale für Moderne Musik erklingen, ist vorsichtig optimistisch: „Ich hoffe, dass jeder seine eigene Utopie in sich trägt. Probleme gibt es, sobald irgendjemand behauptet zu wissen, was für einen anderen gut ist“, sagt er. …weiterlesen

“If this then that and now what”

Eine Art Musiktheater von Simon Steen-Andersen, aufgeführt in Mainz

„Ich“ – nein, so kann man nicht anfangen. Die Buchstaben verschwinden wieder von der Leinwand über der Bühne vom Kleinen Haus in Mainz. Auch andere Anfänge werden verworfen. „Seit Ewigkeiten hatte ich den Plan, ein Buch zu schreiben, das mit diesem Satz anfangen sollte. Das einzige Problem war nur: Wie sollte es danach weitergehen?“ scheint zwar nicht besser, bleibt aber stehen. “If this then that and now what” von Simon Steen-Andersen ist ein Stück über die Nöte, ein Stück zu schreiben. Ein unter der Leinwand schwankendes Spiegelbild vom Zuschauerraum mahnt: das geht dich an.

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„Die Menschen hungern, und er macht Musik“


„Viele halten ihn für wahnsinnig, manche dachten das immer.
Die Menschen hungern, und er macht Musik.
Aber es ist ja mehr als das, es geht ums Prinzip,
darum, dass er sich
diesem Krieg, der Herrschaft des Todes und der Gewalt einfach verweigert,
dass er festhält, an dem, was der Mensch in seinen besten Momenten ist:
empfindsam für Schönheit. Und für seinen Nächsten.
Er ist ein Künstler im besten Sinne“.


– Sonja Zekri über den Pianisten Aeham Ahmad, Süddeutsche Zeitung, 2015

Werte gegen Gewalt

 

„Durch einen Granatsplitter in seiner linken Hand wird ihm eine weitere Karriere als klassischer Pianist voraussichtlich versperrt bleiben“, heißt es auf verschiedenen Internetseiten. Aeham Ahmad, der in den Ruinen von Damaskus Klavier spielte, um Verzweifelte ihre Würde fühlen zu lassen, gab im dicht besetzten, von Historismus und alkoholischen Düften gesättigten Foyer zum Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden kein „Klavierkonzert“ im herkömmlichen Sinne. Zusammen mit dem ägyptischen Perkussionisten Bergo Ibrahim Kamal, in selbstverfassten Balladen und unverkrampften Improvisationen im Mainstream-Jazz-Idiom mit klassisch-arabischen und klassisch-westlichen Momenten, leistete der filigran gebaute Pianist leise Schwerstarbeit: Im Transzendieren von Erlittenem in die Kraft der Musik. Und im unablässigen Versuch, sein Publikum zu erreichen.

Aeham Ahmads Stücke erschienen wie sein Händedruck: eine unendlich zarte Botschaft der Wertschätzung an das unbekannte Gegenüber. Die Balladen, die er zu seinem Klavierspiel ins Mikrophon haucht, beginnen oft mit einem tonlosen Seufzer, um sich zu Vokalisen aufzuschwingen, Ausdruck von Sprachlosigkeit angesichts des Besungenen, oder Mantra-artig ein einziges Wort in den verschiedenen Beleuchtungen der Musik leben zu lassen, wie „Jarmuk“, das palästinensische Flüchtlingscamp bei Damaskus, in dem er aufgewachsen ist. Oder das Lied auf den Duft vom Jasmin, der die Gasse erfüllte, in der er in Jarmuk gewohnt hatte.

„Das Leben ist so schön. Warum verbringen manche Menschen es damit, andere zu verletzen? Ich verstehe das nicht!“, rief Bergo Ibrahim Kamal in akzentfreiem Deutsch. Er übersetzte, was Aeham Ahmad ihm auf Arabisch zugeraunt hatte und glaubt, auch darüber hinaus dem kleinen, schmalen Pianisten mit den sprühenden Augen und den vielen Demutsgesten aus der Seele zu sprechen.

Eindrucksvoll war die von Bergo Ibrahim motivierte Schweigeminute gegen Ende des Konzerts, zu dem sich das Publikum willig erhob. „Wir denken jetzt nicht an die Toten, sondern an unsere Kraft, Gutes zu tun“.

Wird Aeham Ahmad seine Karriere als klassischer Pianist fortsetzen können? Wahrscheinlich. Wichtiger als sein kultiviert akkurater Anschlag ist sein Charisma. Und dass er sich mitunter in seiner eigenen Virtuosität verheddert, macht nichts angesichts seiner Botschaft: Kulturelle und menschliche Werte gegen Gewalt, Macht und Statussymbole.

In jedem Falle hat er die Kraft, davon zu überzeugen, dass als Bittsteller behandelte Flüchtlinge den hier Sesshaften Wichtiges „geben“ können.

 

DORIS KÖSTERKE
15.6.2016

Kultur – wozu? – Aus: 100 Minuten für John Cage

Kultur – wozu?[1]

Diese Frage hat John Cage sich vorbehaltlos gestellt. Die Antworten, die er darauf fand, schweben keinesfalls abstrakt über seinem Schaffen. Es ist gerade das Besondere an Cage, dass er sie zur Grundlage seiner Kunst gemacht hat[2]:

Seit etwa Ende der 1940er Jahre begriff er sein künstlerisches Schaffen als „eine Art Labor, in dem man das Leben ausprobiert“[3]. Klänge sollten nichts als freie Klänge und, Menschen nichts als freie Menschen sein.
Cage fand diese „freien“ Klänge viel frischer und interessanter als „gewollte“, und beobachtete, dass auch die Menschen, die mit ihnen umgingen, viel fröhlicher davon wurden. …weiterlesen

Kultur – wozu?

„Kultur – wozu?“ fragen meist die, die sie nicht bezahlen wollen.

Bei immer knapper werdenden öffentlichen Mitteln droht der Kultur, als „freiwillige Leistung“ der Kommunen zunehmend wegrationalisiert zu werden.

Da stellt sich in dringenderem Maße als je zuvor die Frage, wozu Kultur gut ist, was sie will, worin sie ihren Auftrag in der heutigen Zeit sieht.

In einer tiefen künstlerischen und persönlichen Krise stellte sich diese Frage auch John Cage.

Er wollte mit seiner Kunst sich selbst als Komponisten, wie auch den Musikern und Zuhörern helfen, mit sich und der Welt besser klar zu kommen – und auch gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Probleme im „Globalen Dorf“ angehen.

Über lange Jahre schrieb er ein Tagebuch mit dem Titel „How to Improve the World“ und der gleichzeitigen selbstironischen Einschränkung „(You Will Only Make Matters Worse)“.

Dennoch bleiben seine Ideen erfrischend und anregend – nicht zuletzt, wenn einmal wieder jemand fragt: „Kultur – wozu?“.