Vom Faschismusopfer zur Flucht ins Galante

„Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ überschrieb Dmitri Schostakowitsch sowjet-ideologiekonform sein Achtes Streichquartett. Mit „Opfer“ meinte er jedoch nicht zuletzt sich selbst, zerstört durch den Faschismus der Sowjets. Bei den Frankfurter Bachkonzerten stellte das Aris Quartett das Werk in den Mittelpunkt seines von engen Bezügen durchwirkten Programms. Die Mitglieder des vielfach preisgekrönten Quartetts, das vor neun Jahren an der Frankfurter Musikhochschule zusammengefügt wurde, stellten sich in den ersten vier Contrapunkti aus Bachs „Kunst der Fuge“ vor: Noémi Zipperling begann den ersten als sensibel tastende Sekundaria, Lukas Sieber den zweiten als vorbehaltlos zupackender Cellist, Bratscher Caspar Vinzens den dritten mit magnetischer Konzentration. Den vierten stimmte Primaria Anna Katharina Wildermuth mit fast ein wenig bitterer Intensität an. Derart vorbereitet spürte man viel Verwandtes zum Beginn von Schostakowitschs Streichquartett: Wie Bach, so entwickelt auch Schostakowitsch sein Thema aus nur vier ruhigen Tönen. Bach benutzt den d-Moll-Dreiklang samt Leitton, Schostakowitsch die Initialen seines Namens in deutscher Umschrift: D – „Es“ – C- H. Die fünf Sätze verbinden diese Initialen (teils so verbogen, wie er selbst sich unter den politischen Zwängen fühlte) jeweils mit Zitaten aus eigenen Kompositionen, die für bedeutende Stationen in seinem Leben stehen. Meist waren dies Auseinandersetzungen mit dem sowjetischen Machtapparat. Im übergangslosen Aneinanderfügen der Sätze berief sich Schostakowitsch ausdrücklich auf Beethovens spätes Streichquartett op. 131. Es war das Hauptwerk dieses Abends, ebenfalls von Fugen gerahmt und aus einer vieltönigen Keimzelle entwickelt. Während Interpretationen von geringerem Wert den Eindruck nahelegen können, Beethoven sei zum Zeitpunkt der Komposition nicht nur taub, sondern auch dement gewesen, präsentierte das Aris Quartett ein in sich schlüssiges Werk. Man spürte, wie genau die jungen Musiker den Notentext hinterfragt, seine Anhaltspunkte aufgegriffen und sich „zu Eigen gemacht“ hatten. Von den zahlreichen überraschenden formalen Schnittstellen wirkten hier nur zwei überstolpert: nicht zuletzt eine enorme Konzentrationsleistung. Die Zugabe war eine Flucht ins Galante: das Finale aus Haydns Streichquartett B-Dur op. 76 Nr. 4 (Hob. III:78).

DORIS KÖSTERKE
17.10.18