Czech Ensemble Baroque mit Andreas Scholl

Andreas Scholl und Tamar Halperin beim Rheingau Musik Festival

 

WIESBADEN. Ein Konzert mit Andreas Scholl darf beim Rheingau Musik Festival nicht fehlen. Corona-bedingt waren es in diesem Jahr zwei Konzerte hintereinander am gleichen Abend – eine Herausforderung, die auch an routinierten Profi-Musikern nicht spurlos vorübergeht. Auch nicht, wenn man sie teilt, wie Andreas Scholl an diesem Abend in der Lutherkirche mit der Cembalistin Tamar Halperin und dem Czech Ensemble Baroque unter der Leitung von Roman Válek.

In Corellis Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 4 nahm das Ensemble mit einer bei aller Leichtigkeit weichen und warmen Tongebung für sich ein. Reiche dynamische Schattierungen und fein ziselierte Phrasierungen zeigten die vorwiegend jungen Musiker auf einem guten Weg mit vielen Möglichkeiten für eine konsequente Weiterentwicklung. Ein Wegweiser könnte das Ensemble „Le Concert Spirituel“ sein. Es hat in diesem Festivalsommer gezeigt, wie ein Mehr an Detailarbeit auch mehr Energetik erschließen und der Musik ungemein zuträglich sein kann.

In Bachs enorm ausdrucksstarken Ersten Cembalokonzert BWV 1052 ging das Cembalo nahezu unter. Um dem alles andere als klangstarken Instrument entgegenzukommen, hätten die Streicher nahe der Hörschwelle fiedeln müssen. Alternativ hätte man die Anzahl der Spieler reduzieren können. Damit hätte man auf die Concertino-Tutti-Wirkungen verzichten müssen. Sie stehen zwar nicht explizit im Notentext, entsprechen aber wohl der Aufführungspraxis und machten sich gut, sofern man seinen Hörwinkel auf das Orchester begrenzte. Vor allem jedoch spielte Tamar Halperin buchstäblich im Schatten des Dirigenten. Man fragte sich, warum nicht sie als Solistin die Leitung des Orchesters übernommen hatte. Indem sie sich ihm unterordnete, beschnitt sie ihre Entfaltungsmöglichkeiten. Wo sie dem Geschehen tatsächlich Impulse gab, gingen sie auf dem Umweg über den Dirigenten verloren. Andererseits schien das Orchester auf seinen Dirigenten eingeschworen. Denn im Mittelsatz, dessen Beginn er nicht dirigierte, klapperte das Tempo. Insgesamt blieb die Aufführung hinter den Möglichkeiten zurück, die das Werk hergibt und die man der Solistin unbedingt zugetraut hätte.

Die Karriere von Andreas Scholl hat längst eine Eigendynamik entwickelt: man mag ihn zu sehr, um an seine Interpretation etwa der Bachkantate „Ich habe genug“ BWV 82 die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie bei manchem Neuling. In Händels Arie „Se parla nel mio cor“ aus der Oper Giustino war er spürbar mehr in seinem Element. Und in der Zugabe, ebenfalls von Händel, hörte man das bezaubernde Timbre, dem er seinen Weltruhm verdankt: aus den Randschwingungen der Stimmlippen aufblühend und durch die Poren der Haut in ein Innerstes dringend, das allzu oft unberührt bleibt.

DORIS KÖSTERKE