Polen – Verlorene Heimat und gewonnene Freiheit

Um hundert Jahre polnischer Unabhängigkeit zu feiern, erklangen in elf Städten außerhalb Polens, in Chicago, Kopenhagen, London, Lviv, Melbourne, Mailand, New York, Paris, Tokio, Wien und auch in Frankfurt die gleichen Fanfaren, extra für diesen Anlass komponiert von Krzystof Penderecki. Sie eröffneten Konzerte, in denen weltweit insgesamt hundert musikalische Werke erklangen, die von polnischen Komponisten in diesen hundert Jahren geschrieben wurden. Für sein Konzert im Clara Schumann Saal von Dr. Hoch’s Konservatorium hatte das Ensemble Modern seinem ehemaligen Akademisten Dariusz Przybylski ein weiteres in Auftrag gegeben. Sein Stück für Trompete und Ensemble mit dem Titel Ich war, ich bin, aber ich werde nie wieder sein (2018) erlebte seine Uraufführung mit Sava Stoianov als solidarischem Solisten, der mit verschiedenen Spiel- und Dämpfertechniken viele instrumentale Farben zum Ausdruck brachte. Tänzerisch dirigierte Michael Wendeberg dieses und die anderen Stücke.

Hauptwerk des Abends war das Ensemblestück Chain 1 (1983) von Witold Lutosławski. Es stellt eine Technik vor, in der Formteile nicht aneinandergrenzen, sondern einander überlappen. Sie wurde besonders deutlich, als sich unter einem Schluss mit Tamtam und großem Gerassel noch ein anderes Kettenglied verbarg, das das Stück weniger klischeehaft zum Abschluss brachte.

Mehr als seine Musique scintillante pour 14 interprètes (2007) begeisterte die persönliche Begegnung mit dem gepflegten Weltbürger Krzysztof Meyer. Jagoda Szmytkas Stück „electrified memories of bloody cherries. Extended Landschaft von Musik“ (2011) bezieht sich auf „verlorene“ polnische Ostgebiete, die Czesław Miłosz in seinem Roman Das Tal der Issa beschreibt. Wer aus einer Familie stammt, die ihre Heimat im heutigen Polen „verloren“ hat, musste über dieses Sujet tief durchatmen. Doch jenseits des politischen Beigeschmacks überzeugte das Stück mit seiner rein aus Geräuschen und geräuschnahen Klängen entwickelten musikalischen Logik.

Einen vergnüglichen Abschluss bildete das Ensemblestück 3 for 13 (1994) von Paweł Mykietyn mit pulverisierten Klassik-Klischees und humorvoll getäuschten Erwartungshaltungen.

DORIS KÖSTERKE

11.11.18

 

Das Konzert wurde vom Hessischen Rundfunk mitgeschnitten und ist am 31.01.2019 ab 20:04 Uhr auf hr2-kultur zu hören.