Yoav Levanon

Star von morgen

Yoav Levanon dürfte sich in die Reihe der Interpreten einreihen, die bei den Burghofspielen im Rheingau spielen, solange sie noch jung sind und kurze Zeit später weltberühmt werden, wie etwa Ewa Kupiec oder das Artemis-Quartett. Das Gespür für künstlerische Qualität bei dieser vergleichsweise bescheiden auftretenden älteren Schwester des Rheingau Musik Festivals ist immer wieder erstaunlich.

Bei den Burghofspielen im Rheingau

Der junge israelische Pianist überzeugte im Wiesbadener Christian-Zais-Saal restlos. Dabei hatte der Blick aufs Programm und auf sein junges Alter – er ist tatsächlich erst 19 – zunächst eine nach olympischen Kriterien zu messende Pianistik befürchten lassen, die mit Musik wenig zu tun hat. Die Befürchtung verflog in den ersten sieben Takten von Chopins Ballade Nr. 1 g-Moll op. 23, einer Art Prolog, der in einem Gestus eindringlichen Sprechens das Folgende zusammenfasst.

Musik kommt aus der Stille

Dem hatte Yoav Levanon eine auffällig lange Periode der schweigenden Sammlung vorausgehen lassen, in der manche im Publikum schon unruhig wurden. Eine scheppernd zu Boden fallende metallene Sitzplatznummerierung schien auch bei ihm eine geradezu schmerzhafte Irritation auszulösen. Also schwieg er noch einen Moment weiter und ließ die Musik dann in idealer Weise aus der Stille treten.

Reichtum an Farben

Von Anfang an überraschte der enorme Reichtum an Farben, aus dem er jeden neuen Gedanken quasi komplett neu einkleidete. Als er nach dem zweiten Auftreten des Themas dynamisch in die Vollen ging, spürte man, wie weise er sich bis dahin zurückgehalten hatte. Notengetreu nahm er die Lautstärke bald wieder in ein spannungsvolles Pianissimo zurück. Dynamische Ausbrüche waren klug dosiert, der Pedalgebrauch wirkte nicht, als wolle er verschleiern. Virtuose Anteile perlten trocken und ebenmäßig, sogar die Doppelgriffläufe, die zum abschließenden „Presto con fuoco“ überleiten. Im wohltuenden Vermeiden von toxisch-romantischer Sentimentalität gab das Ganze einen einleuchtenden, wenn auch kaum zu verbalisierenden Sinn.

Mehrschichtig

Noch deutlicher als bei Chopin spielte Yoav Levanon in Robert Schumanns Sinfonische Etüden c-Moll op. 13 mit pianistischen Farben, hob die verschiedenen Schichten wunderbar deutlich voneinander ab. So schwebte die Melodiestimme in der Zweiten Etüde über dem durchgängig vom vollgriffigen Pulsieren, als ließe sie sich von Wassermassen gerne tragen, aber nicht nass machen. Er näherte sich diesen hochromantischen Stücken sehr sachlich, mit einer inneren Sicherheit, die ebenso erstaunte wie überzeugte.

Hohe Abstraktion

In den Études-Tableaux op. 39 von Sergej Rachmaninoff erreichte sein edles, höchst abstraktes, lustvolles und klangschönes Spiel mit Farben, Formen und Strukturen einen wunderbaren Höhepunkt nach dem anderen. Schmunzelnd musste man in der zweiten Etüde tatsächlich an das geheime Konzept denken, das Rachmaninoff an Ottorino Respighi verraten hatte, die diese Klanggemälde orchestrierte: „Rotkäppchen und der Wolf“, mit einer mächtig bedrohlich und zottelig klingenden linken Hand, gegenüber der die linke niedlich-ängstlich zu zittern schien. Doch die meisten Konzepte blieben abstrakt und luden jeden ein, beim Hören eigene innere Bilder zu schaffen.

Große innere Sicherheit, die ansteckt

Nach stehenden Ovationen kündigte Yoav Levanon Liszts Zweite Ungarische Rhapsodie als entschieden einzige Zugabe an. Hatte man sie je so farblich klar konturiert, kraftvoll, klangschön und mühelos virtuos gehört? Im Nachklang blieb eine starke Gelassenheit.

DORIS KÖSTERKE
9.8.2023