„Da stimmt was nicht“, dachte Isabel Mundry: ein achtzehnjähriger Gymnasiast hatte 2016 im Münchner Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen getötet und sich auf ein Dach geflüchtet. In ohnmächtiger Wut brüllte ein Anwohner auf den Attentäter ein, in einem Wortschatz, den man eher dem Mörder zuordnen würde, der seinerseits in gepflegtem Deutsch reagierte. Ein Dritter filmte die Szene, stellte sie auf Youtube ein und ermöglichte der Komponistin die Diagnose „Leerraum aus Sprachlosigkeit“.
Isabel Mundry
„Beide Seiten handeln nach einem Muster“, sagte die Komponistin im Einführungsgespräch zum Konzert des Ensemble Modern im Mozart Saal, wo ihr auf dieser Szene fußendes Stück „Hey!“ vier Tage nach seiner Uraufführung in Donaueschingen zu erleben war. Eine Kommunikation finde nicht statt. Auf beiden Seiten nur Ausdruck von Hass. „Ausdruck steht mir nicht zu“, sagte Mundry. Statt „Ausdruck“ wollte sie einen „Abdruck“ schaffen, die Situation mit ihrer Musik abbilden, ein verlangsamtes Zuhören ermöglichen. Ensemble Modern und Stuttgarter Vokalsolisten bemühten sich redlich. Das Stück ließ angemessen ratlos.
Birgitta Muntendorff
Einen wahren Wust gegenwartsrelevanter Fragen, darunter die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Menschen, die Anteile der Projektion in dem, was wir Wahrnehmung nennen und den Anteilen der Ausführenden am Schaffensprozess hatte sich Brigitta Muntendorf in ihrem Ballett für Eleven für Ensemble, Videoprojektionen und Elektronik (2018)“ vorgenommen. In der rhapsodisch improvisiert wirkenden multimedialen Aufführung waren die Gesichter der Musiker samt Augen und Mündern mit Schnipseln von Klebeband verklebt und mit neuen, Klischees von Schönheit entsprechenden Augen und Mündern bemalt. Leider konnten diese Frankenstein-Monster kaum noch ihre Instrumente bedienen.
Oscar Strasnoy
Von Garth Knox und seiner Viola d’amore inspiriert war d’Amore – Concerto pour Viole d’Amour et Ensemble instrumental (2018) von Oscar Strasnoy: eine vom Dirigenten Bas Wiegers unerschütterlich klar strukturierte Spielwiese humorvoller Fantasien über Liebe, mit in Morse-Zeichen übersetzten Passagen aus dem Erotik-Lehrwerk Kamasutra, Disc-Jockey-haft zerfetzten kommerziellen Liebesliedern, einem Ensemble, das bisweilen auf das sehr viel leisere Soloinstrument eingeht. Dazwischen Garth Knox wie ein Amor, der zögert, das Aufeinandertreffende zu verbinden und schließlich tiefernst einen poetisch schillernden Monolog hält.
DORIS KÖSTERKE
24.10.2018