Philosophisch Interessierte waren zunächst enttäuscht: Nuno Ramos bezog seine Performance „Über die menschliche Natur (To whom it may concern 1)“, die im Frankfurter Mousonturm uraufgeführt wurde, zwar auf die legendäre gleichnamige Debatte zwischen Michel Foucault und Noam Chomsky, die Fons Elders 1971 im niederländischen Fernsehen moderierte. Aus ihren Positionen, Foucault systemorientiert, Chomsky anarchisch angehaucht, könnte man heute SUV-Fahrer und Fahrraddemonstranten darüber diskutieren lassen, wie Politik sich durch individuelles Handeln beeinflussen lässt. Aber Ramos konzentrierte sich auf die Musikalität der Sendung. Wo blieb der sittliche Nährwert dieses Mousonturm-Beitrags zum „Eroica“-Musikfest? – „Der kommt!“ verhieß Dramaturg Marcus Droß, „nur anders“.
Uraufführung im Frankfurter Mousonturm
Immerhin war die Performance das Ergebnis von elf selbstverantwortlich ihre Parts erschaffenden Individuen: Ramos sah seine Rolle nur im Anstoßen und Moderieren der kreativen Prozesse.
Zu den drei Sprachen der Sendung, in der Foucault Französisch sprach, Chomsky Amerikanisch und ein Moderator Niederländisch, fügte Ramos noch das Altgriechische aus Iannis Xenakis‘ Komposition „Kassandra“ (1987) für Bariton (mit Psalterium) und Schlagzeug hinzu. Vom Schlagzeug verstärkt füllte Bariton Miljenko Turk seinen Part mit reichlich Emotion. Aber man „verstand“ nur, dass „sie“ sich fürchterlich aufregt. Wie Xenakis die Deklamationsmelodie der klassischen griechischen Tragödie in eine graphisch notierte Partitur fasste, analysierte auch Komponist Diego Ramos die Sprache der Fernsehaufnahme und fasste sie in eine ebenfalls graphisch notierte Partitur. Die daraus generierten Texte durchdrangen sich mit Xenakis‘ „Kassandra-Rufen“.
Dorsey Bushnell spielte Noam Chomsky mit dem Vorteil angeborenen US-Idioms und großer Lust am Überzeichnen der Choreographie seiner Hände. Julia Mihály spricht „kein Wort Französisch“ und spielte musikantisch mit dem perkussiven Duktus Foucaults. Beide hatten sich wieder und wieder die über YouTube zugängliche Debatte angeschaut und die Laut- und Körpersprache der beiden Philosophen studiert. Perkussionistin Yuka Ohta huschte jenseits der nur 16 Minuten füllenden Xenakis-Aufführung wie ein Pest-Doktor mit Kapuze verkleidet von einem zum anderen und imitierte den Sprachduktus mit Rassel oder Rummelpott.
„Das ist, wie Demokratie funktioniert“, sagte Ramos nach der Aufführung am Tresen. Ein wenig bitter, seit seine brasilianischen Landsleute Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt haben: Vernunft oder gar „Liebe zur Weisheit“ spielen keine Rolle.
Keine schöne Botschaft? Frei nach Brecht eine Aufforderung: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss“! Nicht auf der Bühne, nicht nur in Worten, sondern im täglichen Handeln.
DORIS KÖSTERKE