Terminal X – Building Our Future

 

„Im Walde steht geschrieben ein stilles ernstes Wort vom rechten Thun und Lieben, und was des Menschen Hort“. Bei einem seiner Sommerurlaube in Frankfurt hat Felix Mendelssohn Bartholdy diese Eichendorff-Worte in einen eingängigen romantischen Chorsatz gefasst. Mutmaßlich wurde sein „Abschied vom Walde“ op. 59,3 beim Wäldchestag im Jahre 1834 am Oberforsthaus aufgeführt. Ein Zitat daraus erklang im Musiktheater „Terminal X – Building Our Future“ von Julia Mihály (Hörbares) und Maria Huber (Dramaturgie und Inszenierung). …weiterlesen

(M)eine Winterreise von Francesco Tristano

„Eine andere Art Klavierabend“ verhieß das Programmheft zu „(M)eine Winterreise“ von Francesco Tristano. Der Mozart Saal der Alten Oper (als wäre er nicht ohnehin unwirtlich genug) hallte wider von der kalt-blau-grauen Beleuchtung des Bühnenhintergrunds und die Klimaanlage ließ frösteln. Aha: es wird ganzheitlich! Und aleatorisch: Der Pianist entschied spontan über die Abfolge der angekündigten „Nummern“, vornehmlich eigne Kompositionen, dazwischen Debussy-Préludes, Ravels Gaspard de la nuit, Takemitsus For Away und die Klavierfassungen von vier Schubertliedern. Seine eigenen Kompositionen wirkten meist wie improvisiert. Oft balladesk, oft an populäre Songs erinnernd, in denen auf eine melodramatisch vorangestellte seelische Selbstentblößung wiederholungsreich ein liedhaftes Bekenntnis folgt. Zahlreiche Binnenstimmen-Orgelpunkte erinnerten an immerhin an Schubert.

Das ohne spannungszehrende Beifallslöcher und ohne Pause rund 75 Minuten füllende Programm bekam am Ende viel Applaus – vielleicht gerade, weil der 1981 in Luxemburg geborene, an der New Yorker Juilliard School, später auch anderen Konservatorien von Paris bis Riga Ausgebildete darin meist an einen Barpianisten erinnerte.

Im von Michael Stegemann moderierten Nachgespräch „An der Bar“ gab er freimütig zu, dass Schubert ihm vor diesem Auftrags-Beitrag zum Musikfest über ein paar nette Melodien hinaus nichts bedeutet habe. Das Abarbeiten des Auftrags habe daran nichts geändert. Tristanos Äußerung im Programm­heft, „Schubert hat den Pop Song (radio edit) erfunden“, sei entgegengehalten, dass Kürze auch Destillat bedeuten kann und Eingängigkeit nicht notwendigerweise Plattheit.

Aber: Tradition bedarf der Frechheit jüngerer Menschen, um nicht zu verknöchern, um sich selbst immer wieder zu hinterfragen, um Wesentliches statt Äußerliches zu erhalten. Das Beste an diesem Abend war jedoch der dem Konzert vorangestellte Vortrag von Michael Stegemann über die politische Situation zur Schubert-Zeit, die sich von der gegenwärtig erstarkenden Neuen Spießigkeit und einer global möglichen elektronischen Überwachung nur graduell unterschieden hat.

DORIS KÖSTERKE

Klavierabend András Schiff

Abschiede aus vier Jahrhunderten

 

 

Für so ein Konzert lohnt es sich, zu leben: Das Musikfest-Motto zum „Fremd … zieh ich wieder aus“ weiterdenkend, spannte Sir András Schiff in seinem Klavierabend im Großen Saal der Alten Oper einen Bogen über vier Jahrhunderte zum Thema Abschied. Als Referenz an den einladenden Verein Frankfurter Bachkonzerte begann er mit dem Capriccio sopra la lontananza del suo fratello dilettissimo B-Dur BWV 992. Dabei bohrte er sich nicht an Details fest, sondern gab ihnen aus seinem großen Überblick heraus einen neuen Sinn: statt auf der herzzerreißenden “Bleib-doch-da”-Chromatik herumzureiten, lenkte er den Blick auf die psychologische Selbstheilung des vom Schicksal nicht eben verwöhnten 21-jährigen Johann Sebastian Bach, indem der neben dem echten Schmerz auch zeigte, wie man ihn durch schöpferische Verarbeitung überwindet.

In Ludwig van Beethovens sehr persönlicher “Lebewohl” Sonate Nr. 26 Es-Dur op. 81a zeigte Sir András Schiff seine Größe unter anderem darin, dass er die Exposition des ersten Satzes bei der Wiederholung völlig anders und sehr viel differenzierter beleuchtete. Als erster Höhepunkt vor dem ersten zugelassenen Applaus zeigte er seine über alle pianistischen Probleme erhabene Musikantik in der einzigen Klaviersonate von Béla Bartók. Mit ihr hatte der Komponist, zwei Jahre nach seinem grundlegenden Werk „Das ungarische Volkslied“, seiner klassisch orientierten Pianistenkarriere “Lebewohl” gesagt. Auch von dem übermäßig selbstkritischen Leoš Janáček ist nur eine einzige Klaviersonate überliefert: Die „Sonate 1.X.1905“ verewigt das Datum einer Demonstration für eine Tschechische Universität, die von deutschen Besatzern blutig niedergeschlagen wurde.

Von Franz Schubert, als Leitfigur des Musikfestes, beschloss die in seinem Todesjahr entstandene, posthum veröffentlichte Sonate c-Moll das Konzert. Auch hier gliederte Schiff sinnstiftend mit ausführlich ausgekosteter Agogik, arbeitete mit dem symphonischen Klang des Bösendorfer-Flügels über die Binnenspannung der Mittelstimmen das Nebeneinander von düstrer Todesgewissheit und der Transzendenz lichter Melodien heraus.

Die erste Zugabe, Präludium und Fuge C-Dur BWV 846, verhieß nach dem Abschied einen Neuanfang über „Das Wohltemperierte Klavier“ hinaus. Die zweite war die Gavotte aus BWV 811, die dritte, mit herausgestellter stabilisierender Mittelstimme, die Ungarische Melodie D. 817. Hätte Schubert sich träumen lassen, wie intensiv er auch nach 189 Jahren noch weiterlebt?

DORIS KÖSTERKE