Peter Eötvös, „Der goldene Drache“

Wiederaufnahme im Bockenheimer Depot

Nach weltweiten Erfolgen kehrte Peter Eötvös‘ „Der goldene Drache“ an den Ort seiner Uraufführung zurück. Das musikalische Kondensat von Roland Schimmelpfennigs gleichnamigen Theaterstück („Stück des Jahres“ 2010) begeisterte im Rahmen der heim.spiele des Ensemble Modern mit seiner rhythmischen Kraft, seinen Klangmalereien, der präzisen Inszenierung von Elisabeth Stöppler und den Glanzleistungen seiner Darsteller: Mit nadelfein eingefädelter Höhe bezauberte die amerikanische Sopranistin Karen Vuong in der Rolle des jungen Chinesen, der im „China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurant Der Goldene Drache“ mörderische Zahnschmerzen bekommt. Keine Papiere – kein Zahnarzt, sondern ein Leiden, das auch den Kollegen auf die Nerven geht. Schließlich muss es schnell gehen in der viel zu kleinen Küche, in der der jammernde Kollege nicht nur im Weg steht, liegt, sitzt, sondern auch noch Körperkontakt haben will.

Der literarischen Vorlage gemäß spielen fast alle Darsteller mehrere Rollen: Hedwig Fassbender mit umgehängtem Dickbauch (Kostüme: Nicola Pleumer!) mal die schwangere Geliebte des Mannes, der das Kind nicht will; dann, mit darüber spannendem karierten Hemd, den Gemüsehändler Hans, bei dem dieser Mann sich besäuft; im engen schwarzem Shirt die Ameise nach Aesops Fabel: Eigentlich will sie die Grille verhungern lassen. Stattdessen nutzt sie sie aus und vermietet sie. Auch an den Vater-wider-Willen, der sie, in Wut über sein Los und vom Alkohol enthemmt übel zurichtet. Ansonsten spielt Fassbender die alte Köchin, die im stressigen Restaurantbetrieb auch noch menschliche Seiten für den leidenden kleinen Chinesen bereithält.

Hans-Jürgen Lazar spielt gekonnt ein altes Ekel, das den faulen Zahn schließlich mit einer Rohrzange ausbricht. In der Enge der Küche landet der Zahn in der Thai-Suppe für eine übermüdete Stewardess.

Unter denen, die bei der Uraufführung noch nicht dabei waren, begeisterte der koreanische Tenor Ingyu Hwang, indem er nicht nur jede seiner Rollen mit Leben füllte, sondern ihnen darüber hinaus ein eigenes, restlos überzeugendes Profil gab. Etwa dem gebrechlichen Alten, der beim Anblick seiner schwangeren Enkelin männliche Gelüste bekommt. Und schließlich der Grille ein Bein ausreißt aus Verbitterung, weil auch sie ihm keine Erfüllung zaubern kann.

Holger Falk mutiert vom brillant gespielten Zyniker zur blonden Stewardess Inga, die den in der Suppe gefundenen Zahn als Teil eines Menschen erkennt und nicht einfach wegschmeißen will. Ihren Ekel überwindend nimmt sie ihn in den Mund und spuckt ihn an der gleichen Stelle von der Brücke in den Fluss, an der das Küchenpersonal zuvor (wenn auch über einem mächtigen, im Orchester pochenden schlechten Gewissen) die Leiche des an der unsachgemäßen Operation verbluteten Kollegen entsorgt haben.

Die Musik, vom Ensemble Modern unter Hartmut Keil voller Lust an klanglichen Experimenten zelebriert, bestimmt wie eine Geheimpolizei den Duktus der Aktionen auf der Bühne, lässt den Fluss der Handlung gefrieren oder mitreißen und sorgt dafür, dass die SozialTragiKomödie nie sentimental, pathetisch oder rechthaberisch-monumental wird: leichtfüßig irisierend zwischen Slapstick, Jazz-, Rapp- und Fernost-Persiflage oder unter die Haut zielender Schlichtheit lässt sie den Zuschauer Position beziehen, ohne dass die Musik ihn emotional in eine vorbestimmte Ecke schwemmt.

Die Oper bricht nur zweimal lyrisch durch: als die blonde Inga im personifizierten Zahn den Menschen erkennt und im Schluss-Monolog des „nach Hause“ reisenden Chinesen.

 

DORIS KÖSTERKE