Bluegras als Muttersprache: Annesley Black

„Ich oszilliere“, konstatierte Komponist Erik Satie (1866-1925). Sein Oszillieren zwischen sakralem Ernst, bitterer Satire und herzhaftem Quatsch zeigt sich auch in seiner Idee von einer „musique d’ameublement“. Zusammen mit dem Konzept einer Ambient Music von Brian Eno inspirierte sie die Reihe „Music For Hotel Bars“.

Nach einem erfolgreichen Start 2018 in Berlin und Station bei den Donaueschinger Musiktagen 2019 soll die von dem Musikdramaturgen Bastian Zimmermann kuratierte Reihe auch im Rhein-Main-Gebiet Fuß fassen. Der Lockdown macht sie zur Online-Veranstaltung. Und so wurde sie schelmisch umbenannt in „Music For House Bars“: Hausbars sind schließlich nach wie vor geöffnet und scheinen mehr denn je frequentiert zu werden.

Den bevorstehenden dritten Rhein-Main-Event konzipierten Regisseurin Friederike Thielmann und Komponistin Annesley Black. Beide leben und lehren in Frankfurt und sind sich auch konzeptuell recht nahe. Vereinfachend kann man sagen: sie haben Spaß daran, scheinbar Selbstverständliches in Frage und auf den Kopf zu stellen.

In ihrer musikalischen Performance in der Marmion Bar im fünften Stock des Lindley Hotels Frankfurt geht es, durchaus passend zu Einrichtung und Charme der Location, um Bluegras-Musik. Das geht in der Biographie von Annesley Black ein paar Schritte zurück: Bevor die 1979 in Ottawa Geborene Jazz, Elektronische Musik und Komposition studierte, spielte sie Bluegras.

„Bluegras als Muttersprache“ bescheinigt sie auch Joon Laukamp, der für diesen Abend Mandoline und Fiedel spielt. Ihr Mann, der Komponist Robin Hoffmann, wird Gitarre spielen und singen. Hinzu kommt Ensemble-Modern-Kontrabassist Paul Cannon, ein humorgesättigtes musikantisches Urgestein.

Die Musik, die sie zusammen machen, wird Annesley Black mit „Feldaufnahmen“ aus der Marmion Bar zu einer musikalischen Collage verarbeiten. „Wir waren nicht damit zufrieden, einfach ein Video oder Tonstück abzuliefern. Dabei hätten uns das Hier und Jetzt und das Spiel mit dem Ort gefehlt. Wir haben lange nachgedacht und sind auf diese Idee gekommen: ein Tonstück, zu dem wir live performen“, erzählt Black. „Friederike und ich schreiben ein Skript für die Performance, das allen den nötigen Abstand zueinander garantiert und ansonsten möglichst viele Freiheiten lässt. Viel Ironie und Humor werden mit dabei sein“. Mit der notgedrungenen Livestream-Situation gehen sie kreativ um und werden auch kuriose und privateste Orte der Marmion Bar bespielen.

Annesley Black verdankt ihr Ansehen (seit 2018 ist sie Mitglied der Akademie der Künste in Berlin) nicht zuletzt ihrem zeitkritischen Ansatz. Dabei geht sie nicht „mit dem Hammer auf den Kopf“ vor. „Ich sage mir nicht: jetzt muss ich ein Stück über amerikanischen Rassismus machen. Aber das Thema ist einfach da: An diesem Abend spiele ich Banjo. Das wurde zum ersten Mal von weißen Amerikanern auf einer Bühne gespielt, bei den Black Face Minstrel Shows, die sich über die afrikanische Musik lustig machten. Wenn man das weiß, dann ist das einfach ein Teil der Musik, ohne dass man darüber reden muss“.

Wollte sie schon immer mal Musik für Hotel Bars schreiben? – „Die Vorstellung, eine Stimmungs- oder Tapetenmusik zu schreiben, hat mich zuerst überhaupt nicht interessiert. Dann habe ich sehr viel darüber gelesen und den Gedanken von Brian Eno gefunden, dass Ambient Music kein Narrativ hat und eher ein Ort ist, wo man hingeht. Das fand ich sehr inspirierend und habe versucht, das in diesem Projekt hinzukriegen: Klänge als Ort zu erschaffen. Das ist so das eine Thema. Andererseits ist Bluegras keine Musik, die im Hintergrund läuft. Sie ist grell, meist ironisch, mit spezifischem, trockenem Humor“ – ein Gegenthema, das mit dem anderen oszilliert.

Brian Eno grenzt seine Ambient Music ganz entschieden ab gegen eine funktionale Musik, die Menschen dazu bringt, zu funktionieren (in einer Hotelbar etwa die Zufallsbekanntschaft für den, der ihr den Drink spendiert – etwa auf dessen Zimmer). Satie-Expertin Ornella Volta belegt, dass Satie mit seiner musique d’ameublement den Missbrauch von Musik herausstellen wollte. Ein Missbrauch, der mittlerweile ubiquitär ist: in Fabriken, Supermärkten, bei der Nutztierhaltung und in vielen Hotelbars dudelt es Bach und Mozart.

In der Marmion Bar wird es anders sein. „Wir präsentieren keine authentische Bluegras-Musik, sondern treiben das ein bisschen weiter“, sagt Annesley Black. Ein Hochkultur-Konzert gibt es ebenso wenig. Denn „beim Internet Streaming weiß man nie, welche Lautsprecher die Zuhörer zu Hause haben und wie das alles bei ihnen klingen wird. Damit müssen wir klarkommen“, sagt sie weise.

Dank zahlreicher Förderer, darunter der Kulturfonds Frankfurt RheinMain, ist das Angebot kostenfrei. Der Abend wird am Sonntag, den 28.2.2021 ab 20:30 Uhr in die Hausbars übertragen. Eine Kontrolle über das, was dort getrunken wird, erfolgt nicht. Empfohlen wird der Rattlesnake Smash, ein Whiskey Smash mit Wild Turkey 101 Bourbon, Minze, Zitrone, Zitronenschale, Absinth und Zimt. Wie man diese Spezialität der Marmion Bar perfekt zubereitet, wird Barbesitzer Malwin Hillier im Lifestream zeigen. Man darf es jedoch auch halten, wie Annesley Black: „Ich trinke lieber einen guten Wein“.

DORIS KÖSTERKE
5.2.2021