Die jüngsten hundert Jahre standen im Zeichen des Schlagzeugs, meint Martin Grubinger junior.
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Alte Oper Frankfurt
Giuliano Carmignola und die wilden 13
Eine Virtuosität, in der Geigenstriche zu perkussiven Mustern verflirren, war das Markenzeichen des Venice Baroque Orchestra bei den Frankfurter Bachkonzerten im Großen Saal der Alten Oper. Die 13 Musiker, vom ersten Geigenpult aus geleitet von Gianpiero Zanocco, begannen mit dem verhaltenen Adagio im Concerto grosso „La follia“ Nr. 12 d-Moll op. 5 von Francesco Geminiani, wohl, um ihr teutonisch-erdenschweres Publikum nicht zu überbranden, sondern aus seiner mutmaßlichen Trägheit abzuholen. In ihren Reihen durften nur die Cellisten sitzen und die einzigen beiden Damen lediglich bratschen. Im Vergleich zu deutschen Akademikerbarockmusikern schienen sie auf weniger Wert auf das minutiöse Ausformen einzelner Motive zu legen als auf das Gestalten größerer Spannungsbögen: Man spürte klar definierte Zielpunkte, um die herum auch Tempo und Dynamik an- und abschwollen wie eine Meeresbrandung. Im Anziehen des Tempos und einem gezielten Ausbremsen schienen auch humoristische Wirkungen beabsichtigt: Vorhalte wurden wie Honig gezogen und überraschend aufgewickelt oder, in langsamen Sätzen, schmusig ausgekostet. Mit diesen Kunstgriffen verabreichten sie ihrem Publikum die wohl wirksamste psychodelische Droge der Barockmusik, Variationen über das Follia-Thema, die durch alle Stimmungslagen auf der Klaviatur menschlicher Affekte spielen, vom Weltschmerz zum musikalischen Prosecco-Rausch, von magnetischer Verhaltenheit zu überraschend umwerfenden Energiewellen, strategisch perfekt geplant, in vollkommener Abstimmung aufeinander, wenn auch nicht im sentimentalen Sinne „erfüllt“.
Für Vivaldis Concerto für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo a-Moll RV 523 gesellte sich Giuliano Carmignola zum Ensemble, um im besten Sinne des Wortes mit Gianpiero Zanocco um die Wette zu geigen, draufgängerisch mit dem Fuß aufstampfend und gelegentlich Quietschen und freizügige Intonation in Kauf nehmend. Die Nähe zu einer Zirkusnummer schien vom Komponisten beabsichtigt.
Wohl als Tribut an die Gastgeber spielten das Ensemble und Giuliano Carmignola noch drei Solokonzerte, BWV 1056, BWV 1041 und BWV 1042 von Bach in unsentimental rauschender italienischer Übersetzung.
Die rasanten Zugaben stammten beide von Vivaldi, die erste aus dem Violinkonzert C-Dur „Il piacere“, die zweite aus dem „Sommer“.
DORIS KÖSTERKE
08.06.2018
In Schönheit gefasster Schmerz
Was ist musikalische Schönheit? Hans Werner Henze (1926-2012) begriff die Schönheit seiner Musik als „genährt“ von persönlichen „grauen- und wundervollen Erfahrungen“. …weiterlesen