Regenerative Mutterliebe

Lemminkäinen unterliegt Schwan

In den Vier Legenden op. 22 von Jean Sibelius zeigte sich das Philharmonische Staatsorchester Mainz in seinem Ersten Sinfoniekonzert im Großen Haus in allerbester Form. Die auch als Lemminkäinen-Suite bezeichneten symphonischen Dichtungen spiegeln Episoden aus dem finnischen Nationalepos Kalevala, vor allem den jugendlichen Helden Lemminkäinen, einem Frauenschwarm und Haudegen, dem nur eine Mission gründlich schiefläuft: als er den Schwan töten soll, der das Totenreich Tuonela umschwimmt, harkt seine Mutter anschließend mit einem Rechen seine Leichenteile aus dem Fluss. Mit einer Zauberformel kann sie ihn jedoch wieder lebendig machen.

Das harkende Tasten in Fluten und Schlamm meinte man in der Musik zu hören, die keine Programmmusik sein will. Vielmehr verbindet der außermusikalische Bezug die in Töne gefasste Fantasie des Komponisten mit der angeregten Fantasie der Zuhörer zu einem freien, enorm spannenden Spiel.

Die estnische Dirigentin Anu Tali leitete die Aufführung mit klaren, suggestiven, bisweilen erfrischend unorthodoxen Gesten (etwas das Krümeln zum Beschluss der dritten Legende, „Lemminkäinen in Tuonela“). So animiert fügten sich hohe Dramatik und reich schattierte Stimmungsbilder zu einem energetisch stimmigen Fluss. Das Orchester schuf Gänsehaut-und Herzklopfen-Klänge und beeindruckte in intimen kammermusikalischen Dialogen. Großartig gelungen waren die Einzelleistungen, vor allem die ausgedehnten Englischhorn-Soli. Aber auch das nahtlos von der Viola weitergeführte Cello-Solo zu Beginn der zweiten Legende, „Der Schwan von Tuonela“, ließ elektrisiert aufhorchen.

Zum Einspielen hatte die sehr gefällige, von tanzfreudiger Folklore inspirierte Estnische Tanzsuite von Eduard Tubin gedient. Konzertmeister Naoya Nishimura trat als Solist in Sergej Prokofjews Erstem Violinkonzert auf, in dem ihn primär die technischen Herausforderungen zu reizen schienen, die er virtuos meisterte. Seine Zugaben stammten aus der Solo-Sonate op. 27 Nr. 4 von Eugène Ysaÿe.

DORIS KÖSTERKE