Portraitkonzert Tristan Murail

Werkstattkonzert Happy New Ears des Ensemble Modern

 

 

Ein wichtiges Stück jüngste Musikgeschichte war mit Tristan Murail und der von ihm mitbegründeten Spektralmusik im jüngsten Werkstattkonzert „Happy New Ears“ des Ensemble Modern in der Oper Frankfurt zu erleben.

Der 1947 in Le Havre geborene Komponist erzählte im Gespräch mit Lukas Haselböck, wie er die Musik der 1960er und 70er Jahre vom Serialismus beherrscht fand, wie er dem Idiom eines Pierre Boulez eine neue, sinnlichere Syntax entgegensetzen wollte und wie seine musikalischen Ideen sich zusammen mit den Möglichkeiten der Tontechnik und der computergestützten Analyse von Klängen entwickelt haben.

Das älteste vom Ensemble Modern gespielte Stück des Abends, Mémoire/Erosion für Horn und 9 Instrumente (1976) stammte noch aus einer Zeit, in der man mit mehreren Tonbandmaschinen arbeitete: Man spielte einen musikalischen Prozess auf Tonband ein und benutzte diese Tonbandaufnahme quasi als Mitspieler in einer neuen Schicht des Zusammenspiels, die man mit einer anderen Maschine aufzeichnete, wobei jede neu hinzugefügte Schicht mit Verlusten der Tonqualität – anders ausgedrückt: mit einer Erhöhung der Geräuschkomponenten – einherging. Murail stellte diese Situation nach, indem die Instrumente des Ensembles die Töne des Hornsolisten imitieren ließ. Dem Spiel „Stille Post“ nicht unähnlich, gewann das Imitierte mehr und mehr an vergnüglichem Eigenleben. Naturgemäß ergaben sich auch viele Wiederholungen: den Serialisten waren sie verhasst, was Murail gefiel. Außerdem, befand Murail, habe er damit der Entwicklung der Minimal Music Vorschub geleistet.

Als Schüler von Messiaen wollte er den Klang selbst zum Ausgangspunkt seines Komponierens machen. Die computergestützte Spektralanalyse ermöglichte es, einen Klang als Schichtung von Obertönen darzustellen, die stellenweise vom konventionellen, temperierten Tonsystem abweichen und als Mikrotöne in der Musik einzogen. Zunächst konnte man nur das Obertonspektrum stehender Klänge erforschen. Später kam die Möglichkeit hinzu, auch die Entwicklung dieser Spektren in der Zeit des Erklingens von Tönen zu untersuchen. In eindrucksvollen Klangbeispielen von seinem Rechner zeigte Murail, wie sich etwa im mongolischen Oberton-Gesang Melodien aus dem Grundklang schälen. Im abschließend gespielten L’Esprit des dunes für 11 Instrumente und Elektronik (1994) von Tristan Murail konnte man wunderbar nachvollziehen, wie sich das gesamte Stück als zwingende organische Einheit aus einem Grundklang und dessen Oberton-Melodien heraus entwickelt war.

DORIS KÖSTERKE