Mut, einen ganz eigenen Weg zu gehen

Von einer „ernsthaften Recension“ sehe man ab, da man es „mit dem Werke einer Dame zu thun“ habe, schrieb Carl Friedrich Becker über das Klavierkonzert a-Moll op. 7 (1833-35) von Clara Schumann (1819-1896). Als es zum Abschluss des jüngsten Konzerts im Forum N im Sendesaal des Hessischen Rundfunks erklang, mit eisiger Brillanz gespielt von Tamara Stefanovich (Klavier), unterfüttert vom hr-Sinfonieorchester, sah man die Vierzehn- bis Sechzehnjährige vor sich, die das Orchester für die Dauer eines Satzes schweigen lässt, um selbst zu Wort zu kommen und sich darüber mit dem einfühlsamen Solo-Cello zu unterhalten, bis die Pauke dazukommt.

Mut, einen ganz eigenen Weg zu gehen, zeigen auch die 1963 und 1977 geborenen Komponistinnen Isabel Mundry und Zeynep Gedizlioğlu, die sich, ohne Automatismen und ohne Rezepte, in jedem Augenblick neu fragen, wie es weitergehen soll.

Die 1977 in Istanbul geborene Zeynep Gedizlioğlu sucht zudem nach interkulturell Gültigem. Ihr Klavierkonzert „Der Blick des Abwesenden“, ein Auftragswerk des hr, das an diesem Abend seine Uraufführung erlebte, spiegelt eine Suche nach sich selbst, verkörpert durch das Klavier: An Anfang wie Schluss steht ein Klavierton, schattiert vom Klang eines mit dem Kontrabassbogen gestrichenes Beckens. Am Anfang wirkt dies schmerzhaft, zum Schluss harmonisch. Dazwischen verweigert sich das Klavier allen Klischees. Aber wenn es auch nur einen Ton von sich gibt, ändert das Orchester seine Richtung. Ein kontrabassistischen Bartok-Pizzicato schüchtert es ein und die Harfe äfft es nach, aber es setzt sich durch. – In der Suche nach sich selbst soll man niemandem reinreden. Aber man darf anmerken, dass man die Steigerung von Einzeltönen zu Clustern als Faustrechtlich und jene Stellen als besonders interessant empfand, in denen sich das Orchester von einem neuen Klavierton einmal nicht beirren ließ.

Ein Kompliment an das von Jonathan Stockhammer dirigierte Orchester: Bei Zeynep Gedizlioğlus klang es vielfarbig, bei Isabel Mundry noch ungleich differenzierter. Aus ihrem Zyklus „Motions // Der doppelte Blick“ (der Titel erschloss sich auch aus dem Programmheft nicht) wurde zunächst der neue IV. Teil, „Haut“ gespielt und erklang nach der Pause noch einmal, im Zusammenhang mit den anderen sechs Teilen. In deren VII. Teil, Atmen, meinte man tatsächlich ein Ein- und Ausatmen zu spüren, als Dynamik, die man in den anderen Teilen vermisst hatte.

Eine wirkliche Entdeckung waren die beiden Kompositionen von Lili Boulanger (1893-1918), D’un soir triste und D’un matin de printemps. In ihrem Todesjahr, 15 Jahre vor Schumanns Klavierkonzert entstanden spiegelte die ins Expressionistische reichende Klangsprache den unerbittlichen Lebenswillen der von chronischen Krankheiten Geplagten, als Streben nach Klarheit und Schönheit.

DORIS KÖSTERKE

14.9.18