Ein Film, mutmaßlich gedreht in einer chinesischen Provinz, zeigt Erwachsene beim Arbeiten in einer von Bergen umkränzten Kulturlandschaft, Kinder beim Spielen in einer einförmigen Siedlung mit überdimensioniert scheinendem öffentlichen Platz und nach Anbruch der Dunkelheit alle zusammen in ihrem Verhalten bei einem unter freiem Himmel öffentlich gezeigten Film: Manche haben sich als Familie samt Hund mit Blick zur Leinwand zusammengekuschelt, andere gehen unschlüssig auf und ab. Später finden sich einige zu einem gemeinsamen Tanz zusammen, als hielten sie die Passivität des Zuschauens nicht mehr aus. Vor der Leinwand im Großen Saal der Darmstädter Akademie für Tonkunst saßen Musiker mit dem Rücken zum Publikum, den Film überwiegend distanziert mit flächigen Klängen kommentierend: Die Uraufführung des neuen Gemeinschaftswerkes „The audience“ von Hannes Seidl (Komponist) und Daniel Kötter (Filmemacher) wurde bei der Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung (INMM) freundlich aufgenommen.
Sein beigefügter chinesischer Titel
lässt nur auf den ersten Blick auf eine gleichförmige Masse von Beschallten schließen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, was Kötter und Seidl mutmaßlich mit ihrem Werk zum Ausdruck bringen wollten.
Während es in der Kombination von Musik und Film schwer gefallen war, der Dominanz der bewegten Bilder zu widerstehen, wurde im restlichen Konzert des Ensembles Mosaik im Rahmen der Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung gesteigert bewusst, in wie hohem Maße komponierte Musik von ihren Vermittlern, den Interpreten, abhängig ist: In „Trauben“ von Enno Poppe luden sie die Variationen über getupfte Klavierakkorde und Streicher-Glissandi mit dem Humor des Komponisten auf.
Rundum beeindruckend schuf Angela Postweiler in „Adiantum Capillus-Veneris“ von Chaya Czernowin eine Landschaft aus Atem- und Stimmgeräuschen.
„Ore“ – Erz hieß die Komposition für Klarinette und Streichtrio der irischen Komponistin Ann Cleare und tatsächlich meinte man beim hörenden Eindringen in das sotto voce, den brüchigen Bereich der in extrem zurückgenommener Lautstärke nicht voll ansprechenden Instrumente, wertvolle (nichtstoffliche) Mineralien und Metalle zu finden. Besonders eindrucksvoll gelang das extrem lang angehaltene „Auszittern“ des Stückes im pianissimo.
Gipfelpunkt des Abends war die Ensemble-Komposition „Ayre: Towed through plumes, thicket, asphalt, sawdust and hazardous air I shall not forget the sound of” von Chaya Czernowin. Die Geburt des komplexen Stückes lag in dunklen Klängen der großen Trommel. Den impulsiveren zweiten Teil hatte die Komponistin als einen „negativen Raum“ beschrieben. Nichtsdestotrotz schien sich in ihm ein aus Klängen gebildetes, dickes träges Tier zwischen Gitterstäben aus Klavierklängen zu erheben.
Die Minen der Musiker verrieten, mit welcher Sorgfalt sie den Notentext ausgelotet hatten, wie genau sie die Mittel erarbeitet hatten, mit denen sie dem Stück einen flüchtigen akustischen Körper verliehen. Voller Vertrauen folgte man ihnen zu einem „Verstehen“ jenseits des Benennbaren.
DORIS KÖSTERKE