DARMSTADT. Herzblut und Spielfreude prägen die Wiederbelebung der barocken Musik von Christoph Graupner in „La costanza vince l’inganno“ (Die Beständigkeit besiegt den Betrug, 1715)in der Inszenierung von Magdalena Fuchsberger am Staatstheater Darmstadt. Die Premiere fand im Rokoko-Ambiente des Heckentheaters im Prinz-Georg-Garten statt. Dank Tonmeister Christoph Kirschfink war die Akustik erstaunlich gut.
Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt hatte in Hamburg eine Oper von Christoph Graupner gehört und den Komponisten 1709 an seinen Hof verpflichtet. Graupner (1683-1760) hätte zwischenzeitlich auch Thomaskantor in Leipzig werden können, blieb jedoch bis zu seinem Tod in Darmstadt und schrieb dort unter vielem anderen seine Pastorale „La costanza vince l’inganno“ (1715). Die Inszenierung von Magdalena Fuchsberger degradiert das barocke Zeittotschlags-Libretto (ein Verwirrspiel darum, wer wen liebt, zu lieben vorgibt oder zu lieben bestreitet) zur Trägerfolie für die Musik und fügt reichlich Gedankenfutter in Form gesprochener Texte ein. Etwa von Donna Haraway, Jacopo Sannazaro, Anne Sexton, Rosa Braidotti, Rosa Luxemburg, Ana Mendieta oder Wytske Versteeg, verbunden mit der expliziten Ermunterung vom Dramaturgen Carsten Jenß, sich schlau zu machen, wenn man nicht weiß, wer das jeweils ist: Die Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway etwa plädiert dafür, dass wir selbstkritisch und unermüdlich von den uns umgebenden nichtmenschlichen Wesen lernen sollten, wie wir auf konstruktive Art miteinander umgehen können, um gemeinsam zu überleben. Chthuluzän nennt sie ihr Ideal, das sie Anthropozän und Kapitalozän gegenüberstellt als einen Zeitort fortdauernden verantwortungsvollen Lernens. Dieser Tenor passte hervorragend zum Motto „Komm ins Offene“, mit dem das Staatstheater Darmstadt dazu inspirieren will, Konventionelles zu hinterfragen und gegebenenfalls über Bord zu werfen.
Etwa die Sehnsucht nach dem Himmel auf Erden: Im Sprechtheater-Vorspiel zu Graupners Pastorale lädt Landgraf Ernst Ludwig, alias Meleagro, alias Tirsis (David Pichlmaier) eine handverlesene Schar von Gefolgsleuten in die ländliche Idylle ein, um erkennen zu müssen, dass er mit ihnen auch die verhassten Strukturen in sein Arkadien importiert: seine eigene Selbstverliebtheit, der seine Partnerin Atlanta, alias Cloris (Cathrin Lange) als Dekoration nicht recht genügt, zumal sie weniger in ihn verliebt scheint, als in den materiellen Status, den er ihr verschafft. Die sonderliche Silvia (Jana Baumeister) hängt ihr Herz eher an Kohlmeisen und wird dafür zugleich von der wertkonservativen Aminta (Lena Sutor-Wernich) und dem treuen Alindo (Michael Pegher) geliebt.
Allerhöchstes Lob verdienen Alessandro Quarta und die von ihm geleiteten Musiker des Staatsorchesters. Sie brachten diese Musik zum Atmen, mal in schwelgenden langen Zügen, mal geradezu japsend eine übergeordnete Spannung aufbauend schufen sie ein irdisches Stück Himmel, zusammen mit den strahlend timbrierten Sopranstimmen von Jana Baumeister und Cathrin Lange. Und von Michael Pegher, der verschmitzt in den Klang der Instrumente lauschte, um seinen Stimmklang darin einzuweben.
DORIS KÖSTERKE
17.6.2021