Farzia Fallah, iranische Komponistin

 

„Als Künstler trägst du viel Verantwortung“, hatte ihr erster Kompositionslehrer gesagt: „Deine politische, soziale, ökologische Einstellung – alles verdichtet sich in deiner Musik“. Das war noch in Teheran, wo Farzia Fallah 1980 als Tochter einer Lehrerin und des Dichters Karim Radjabsadeh geboren wurde.

Die folgenden drei Monate wird die sonst in Köln lebende Komponistin als „Composer in Residence“ in Frankfurt verbringen, mit einem Arbeitsstipendium, das nun mittlerweile zum fünften Mal vom „Archiv Frau und Musik“ in Kooperation mit dem Institut für zeitgenössische Musik (IzM) an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) an komponierende Frauen vergeben wird. Sie wird in dieser Zeit ein neues Werk komponieren, mit Studierenden der HfMDK arbeiten und, zusammen mit der Kontrabassistin Nicola Vock, in einem „Response“-Schulprojekt mit einer sechsten Klasse des Adorno-Gymnasiums in Frankfurt eine Antwort („Response“) auf ihre Musik entwickeln.

Beim Willkommensbrunch in den Räumen des Archivs Frau und Musik berichtete der Komponist Hannes Seidl aus der Arbeit der Jury. Zu deren Mitgliedern zählten auch die an der HfMDK lehrende Komponistin Annesley Black, die Cellistin Katharina Deserno, Karin Dietrich als Leiterin des IzM, Stefan Fricke als Redakteur für zeitgenössische Musik am Hessischen Rundfunk und die Dirigentin Melissa Panlasigui.

Corona-bedingt hatte man die Ausschreibung von vornherein auf Komponistinnen beschränkt, die in Deutschland leben: „Wir wollten nicht, dass der Arbeitsaufenthalt mit seinen Möglichkeiten zum Komponieren, Netzwerken, Recherchieren und Konzertieren an Einreisebeschränkungen scheitert“, sagte Karin Dietrich. Der Preis, so Hannes Seidel, sollte „ein echter Kick für die Karriere“ sein. Deshalb wurden, neben der qualitativen Auswahl, auch alle Bewerberinnen aussortiert, die sich bereits etablieren konnten. Danach waren sich alle einig: Farzia Fallah überzeugte „durch ihren stark ausgeprägten eigenen Stil, ihren Ideenreichtum sowie ihre poetischen Kompositionen“, heißt es auf ihrer Urkunde.

Die Poesie zwischen den Kulturen

„Persisch“ denkt man leicht, wenn man ganz unvoreingenommen ein Stück von ihr hört, etwa die reiche, irisierende Klanglichkeit im ersten Satz von „Lalavi“, das in der jüngsten Neue Musik Nacht der HfMDK zu hören war. Aber auf ihre iranische Herkunft lässt Farzia Fallah sich ebenso ungern fixieren, wie auf ihre „Rolle als Komponistin“. Sie fühle sich dem Iran und Deutschland in gleichem Maße zugehörig: „ohne eines von beidem fehlt etwas“.

Sie betont die verschiedenen Denkweisen und Ausbildungen der Musiker beider Kulturkreise. Statt Weltmusik-Eintopf will sie eine „Begegnung verschiedener Welten und die Suche dazwischen“. In ihrer Komposition „in sechs Richtungen“ für Akkordeon und die persische Langhalslaute Tanbur verbannt sie die Klänge der Tanbur in ein Zuspiel über Lautsprecher, um beide Sphären klar voneinander zu trennen. Die „Poesie“ entsteht in der Vorstellungskraft von Interpreten und Zuhörenden, in ihrer geistigen und emotionalen Aktivität beim Vermitteln zwischen den Eindrücken, die jeweils eine Vielzahl von Deutungen eröffnen.

Mit klassischer persischer Musik war Farzia Fallah von klein auf vertraut. Aber sie hatte mehr Spaß am Klavierspielen. Nach dem Abitur absolvierte sie zunächst ein Ingenieurstudium, studierte jedoch nebenher privat Klavier bei Farmiah Ghavam-Sadri und Komposition bei Alireza Mashayekhi. Beide Lehrer zusammen hatten 1993 die Teheraner Gruppe für Neue Musik gegründet. Farzia Fallah schloss sich ihnen an, wollte aber noch mehr.

So ging sie 2007 zunächst nach Bremen zu Youghi Pagh-Paan und Jörg Birkenkötter. Sieben Jahre später wechselte sie zu Johannes Schöllhorn nach Köln und folgte ihm 2016 nach Freiburg, wo sie 2018 ihr Examen ablegte. Seitdem lebt sie als freischaffende Komponistin vor allem in Köln und hält den Kontakt zu ihrer Familie im Iran unter immer schwieriger werdenden Bedingungen aufrecht.

Zerbrechlich wie Menschenseelen

Von ihrem Vater inspiriert beschäftigt sie sich viel mit zeitgenössischer Literatur, der persischen wie der deutschen. Mit ihrer Musik möchte sie die „Aura“ dieser Lyrik in besonderem Maße erlebbar machen. Dabei stellt sie besondere Ansprüche an ihre Interpreten: sie gibt ihnen die Klänge nicht genau vor, sondern formuliert Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Spieler, die ihr jeweiliges Instrument schließlich am besten kennen, die fragilen, sich weit auffächernden Klänge suchen sollen. Abhängig von Faktoren wie Raumakustik oder Luftfeuchtigkeit kann es sein, dass die Klänge nicht ansprechen oder umkippen. Aber genau das will Farzia Fallah, um eine besondere Intensität zu erreichen, die sich auf die Zuhörer überträgt. „Hellhörigkeit“ ist das politische Ziel ihrer Kunst. Mit feinen, vielschichtigen Klängen, so bebend wie Menschenseelen. Und auch so zerbrechlich.

DORIS KÖSTERKE
7.10.2021

 

„Unsicherheit ist für mich immer ein Thema“ sagte Farzia Fallah zu Karin Dietrich. Das Gespräch zwischen der aus dem Iran stammenden Komponistin und der Leiterin des Instituts für zeitgenössische Musik (IzM) an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst (HfMDK) war Teil des Portraitkonzerts im Kleinen Saal der Hochschule. Mit einem dreimonatigen Arbeitsstipendium war Farzia Fallah Composer in Residence beim IzM und dem Archiv Frau und Musik. Zum Abschluss soll kurz vor Weihnachten ein Stück aufgeführt werden, das sie mit einer sechsten Klasse des Adorno-Gymnasiums erarbeitet hat.

Ko-Produktion mit Tänzerin Ariadni Agnanti

Im Portraitkonzert uraufgeführt wurde die Tanzperformance „disPositions“. Sie ist in Farzia Fallahs Frankfurter Zeit als Ko-Kreation mit der Tänzerin Ariadni Agnanti entstanden. Darin scheint die Tänzerin an verschiedenen Stellen der Bühne lohnende Ziele zu wittern, die sie zielstrebig anpeilt. Doch kaum sind sie erreicht, wittert sie das nächste Ziel, das sie ebenso geradlinig anpeilt und ebenso schnell wieder fallen lässt.

Farzia Fallah will ihrem Publikum kein Programm an die Hand zu geben: es soll sich selbst sein Bild machen. Nur eine mögliche Interpretation von „disPositions“ ist, dass die Tänzerin aus ihrer anfänglichen Unsicherheit heraus zunehmend selbstbewusst ihre Fähigkeiten entfaltet.

Kreative Unsicherheit

Eigentlich hatte es ein Stück für Tänzerin und Schlagzeug werden sollen. Aber beide fanden, dass die Geräusche der Tänzerin ausreichen und man auf das Schlagzeug verzichten kann. Einen Kompromiss bildet die unter der Bluse der Tänzerin versteckte Glöckchenkette. Vielleicht könnte man sogar darauf verzichten: Die Bewegungen in Rhythmen und Glissandi, ihre wechselnden Tempi und die Proportionen innerhalb des Ganzen sind vielleicht schon Musik genug.

Umrahmt wurde die Uraufführung von bereits bewährten Stücken, die Farzia Fallah mit Studierenden der HfMDK eingeübt hatte. Der Geiger Adam Woodward, aktueller Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA), spielte „… und dann befreit…?“ für Violine (2009/10) so überzeugend, als hätte er es sich selbst auf den Leib komponiert.

Intensität durch beständige Gefahr des Scheiterns

Auch sonst faszinierte der vorbehaltlose Einsatz der Interpretinnen für die Tonsprache der Komponistin, die keine „Töne“ schreibt, sondern Bedingungen formuliert, unter denen die Spieler die Klänge auf ihrem Instrument suchen sollen. Farzia Fallah will diese gesteigerte Aktivität ihrer Interpreten und auch die Unsicherheit, ob die Klänge im Moment der Aufführung ansprechen oder nicht. Durch die beständige Gefahr des Scheiterns erreicht sie nicht zuletzt eine große Lebensnähe.

Hinter dem Nichts

Von dem iranischen Dichter und Maler Sohrab Sepehri (1928-1980) inspiriert ist „Posht-e Hichestan“ für Altflöte solo (2015). Der Titel ließe sich frei übersetzen als „Hinter dem Nichts“. Claudia Warth zeigte, was sich dort auftut. Die szenische Komposition „into“ (2019) für Viola (Nefeli Galani) und Horn (Ya Chu Yang, IEMA-Stipendiatin 2020), wirkte wie die Geschichte einer Freundschaft voll Resonanz, Zoff und Sehnsucht.

„Lalayi, ein Schlaflied für Sohrab“ (2017) gespielt von Zion Lee (Violine), Nefeli Galani (Viola) und Clara Franz (Violoncello) fußte wiederum auf einem Gedicht von Sohrab Sepehri und zeigte: Unsicherheit schärft den Blick für das Schöne.

DORIS KÖSTERKE
3.12.21

 

Der zugrundeliegende Text und eine Einspielung von Lalayi findet sich auf https://llaudioll.de/fallah-lalayi/.

 

Der Text von Sohrab Sepehri:
Fern von den Nächten
voller Metallreibung,
schenke mir den Schlaf,
unter einem Zweig.

Und in der Zeche des Lichts,
wenn hinter deinen Fingern
der Jasmin erstrahlt,
werde ich aufwachen.

Dann
erzähle mir von den Bomben,
die fielen,
während ich schlief.

 

Weiterführende Links (Auswahl):

http://www.farziafallah.de/music-2/mit einigen Sounddateien.

 

Sounddatei „Schlaflied für Sohrab“: https://llaudioll.de/fallah-lalayi/
mit dem Text von Sohrab Sepehri
(1928-1980)

 

Rainer Nonnenmann: Neue Reisen ins Innere des Klangs. Mikrovirtuosität in der Musik von Timothy McCormack, Farzia Fallah und Yasutaki Inamori: https://texte.musiktexte.de/mt-156/175/mikrovirtuositat-in-der-musik-von-timothy-mccormack-farzia-fallah-und-yasutaki-inamori

 

 

Literatur:

 

Hubert Steins: Unter Bewunderung der Farben. Die iranische Komponistin Farzia Fallah. In: Musiktexte 165, Mai 2020, S. 5-10.

Anna Ricke: Im Schweigen der Klänge. Zu Farzia Fallahs Sextett „im selben augenblick“. In: Musiktexte 165, Mai 2020, S. 11-14.