Tenebrae Choir in himmlischer Schönheit

 

Klare hohe Frauenstimmen. Ebenso konzentriert geführte Männerstimmen. Die Bühne ist leer. Die Sänger sind nicht zu orten, scheinen vom hinteren Seiteneingang in die Basilika von Kloster Eberbach hineinzusingen. Zu schön, um sich nach ihnen umzudrehen. Denn das könnte ja rascheln.

Der Londoner Kammerchor Tenebrae Choir, 2001 von Nigel Short, einem ehemaligen Mitglied der King’s Singers gegründet, war zum ersten Mal beim Rheingau Musik Festival zu Gast und kommt hoffentlich immer wieder: Seine konzentrierte Stimmgebung bewirkt auch in den Zuhörern eine starke Sammlung, einen Zustand der Religio, der Rückbindung an etwas, das allen Religionen gemein und zugleich über sie erhaben ist. Kristalline Intonation und typisch englische Klangsinnlichkeit kommen hinzu. Im Dialog mit der Akustik bespielten die insgesamt zwanzig Sängerinnen und Sänger die Basilika an wechselnden Orten, etwa auch durch die Seitenschiffe wandelnd. Ein reiches stimmliches Farbspektrum ließ die teils mehrchörigen Sätze plastisch erleben. In den Sopranstimmen reichte es bis zu einer klaren Pfeifstimme. Im Alt vereinigten sich die nach oben drängenden Tendenzen männlicher Altstimmen mit den erdenden der weiblichen zu einem Kraftzentrum mit hoher Binnenspannung. Unter den Tenören bestach einer mit besonders weichem Schmelz. Bässe setzten auch architektonische Akzente.

Das außermusikalische Thema, das die Kompositionen miteinander verband, war für jedermann aktuell. Schließlich ist der Tod das Einzige, auf das man sich im Leben verlassen kann. Die Kompositionen des Abends sahen ihn als Tor zu einer himmlischen Schönheit, die sie in Töne fassten. Der erste Teil des Konzertes kreiste um Komponisten der Renaissance und des Barock, um Thomas Tallis, William Byrd, Henry Purcell, William Croft in England und ihre italienischen Inspirationen von Alonso Lobo, Antonio Lotti und Gregorio Allegri. Ein Zentrum im zweiten Teil bildete Sir John Taverner (1944-2013), mit dem die englische Vokalkunst zweifellos eine neue Blüte erlebt hat. Namensgebend für das Programm war das Gedicht “A Hymne of Heavenly Beauty“ von Edvard Spencer (1552-1599). William Harris (1883-1973) schrieb darüber seine Komposition „Faire is the Heaven“.

Besonders aufhorchen ließen die unerwartet schlackenlosen Vertonungen des orthodoxen Hymnus „Heruvimskaya pesn“ von Sergei Rachmaninow und Pawel Tschesnokow. An Pusteblumen erinnerten harmonische Fülle und Leichtigkeit in „I thank You God“ von Eric Whitacre.

Die sich in leichten Reibungen aus dem hoch konzentrierten Pianissimo im Raum ausbreitende Zugabe war „O sanctum convivum“ von Olivier Messiaen.

DORIS KÖSTERKE
23.8.2019