Abonnementkonzert des Ensemble Modern
Wo, außer beim Ensemble Modern, jüngst im Mozart Saal, kriegt man so reichhaltiges Futter für die Fantasie? In „Karakuri – Poupée mécanique“ (2011) hat Ondřej Adámek den Schöpfungsakt einer traditionellen japanischen Puppenspiel-Puppe Karakuri Nyngio musikalisch nachgestaltet, von der genauen (Selbst-)Beobachtung über die beständige Optimierung der Puppe, bis ihre Bewegungen wie natürlich wirken. Zugleich stimmlich und pantomimisch stellte Shigeko Hata dar, wie eine Bogensehne gespannt wird, bis ein Pfeil sich löst, wie er durch die Luft fliegt und wie seine Energie nachlässt. Als musikalisch formbildendes Motiv wiederholt und abgewandelt wurde diese Sequenz vornehmlich vom Perkussionisten David Haller, aber auch vom übrigen Ensemble ausgestaltet und von Felix Dreher (Klangregie) so lebensnah abgestimmt, dass man Pfeil und Bogen vor sich sah. Unmittelbar einleuchtend ließ der 1979 in Prag geborene, unter anderem von Pierre Boulez in Paris ausgebildete Komponist und Dirigent erleben, wie Musik unwillkürlich an Bewegungen denken lässt, die nicht immer menschenmöglich und gerade deshalb so anregend und witzig sind. Im letzten der vier Sätze verselbständigt sich die Mechanik: die Puppe zerstört nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Schöpfer.
Kulturkritik übt auch Im Fall – für Mezzosopran und Ensemble (2017) von Isabel Mundry. Inspiriert von Texten von Thomas A. Kling (1957-2005), „Die letzten Äußerungen des Orakels I und II“, spürt die Komposition einer überlieferten Prophezeiung des Orakels von Delphi nach, die den Untergang der antiken Kultur voraussagt. Die Texte des dritten und letzten Abschnitts stammen aus dem Internet, aus Reiseberichten und Hotelbewertungen und spiegeln den (Ver-)Fall der Kultstätte zum Touristenort. Das Orakel von Delphi, erinnerte Isabel Mundry im Einführungsgespräch mit Patrick Hahn, gab Antworten, die noch komplexer waren als die Fragen. Entsprechend war die Aufführung mit der bizarren, teilweise auch im Wechsel mit dem spürbar lustvoll agierenden Duncan Ward dirigierenden Mezzosopranistin Allison Cook ein rätselhaft-intensives Erlebnis.
Scream Sing Whisper – for 18 players (2015) von Anders Hillborg kam, den im Titel beschriebenen Geräuschen zum Trotze, ganz ohne menschliche Stimmen aus. Für den 1954 geborenen Schweden braucht Musik keinen konzeptuellen und intellektuellen Überbau, wohl aber einen durchgehenden Puls. Darüber durchschreitet er Idiome, die an Bigband-Jazz, Gustav-Mahler, Minimal Music und barocke Terrassendynamik erinnern, fächert einen pianistischen Urknall (Ueli Wiget) zu Bläserklangspektren und Liegetonschichten mit geigerischem Papageiengezwitscher und reibungsreichen Posaunenglissandi (Uwe Dierksen) auf. Bei alledem überträgt sich der Pulsschlag seiner Musik unwillkürlich auf die Hörer, hebt sie für die Dauer des Stückes aus ihrem alltäglichen Dasein heraus und verdeutlicht damit den Drogencharakter von Musik.
DORIS KÖSTERKE