Raus bist du, wenn du dir die Preise nicht leisten kannst

 

(Stadt) Land Fluss von Daniel Kötter und Hannes Seidl

Musiktheater-Premiere beim Festival „Displacements. Andere Erzählungen von Flucht, Migration und Stadt“

 

Was ist eine Mauer gegen die Möglichkeiten von Internet und Hacking? Die eigentlichen Grenzen, betont der an der Denver University lehrende Philosoph Thomas Nail, sind sozialer Natur: Ohne Papiere keine Wohnung, keine Arbeit. Ohne Smartphone kein Anschluss an die Welt. Ohne Segelyacht – und so weiter. In jedem Bereich der Gesellschaft gibt es Vertriebene und Migranten. Seine Rede, „The Figure of the Migrant“, eröffnete das Festival „Displacements. Andere Erzählungen von Flucht, Migration und Stadt“: Im Mousonturm und rund um ihn herum wird bis zum vierten Februar 2018 mit vielfältigen Mitteln der Kunst operiert.

Den Anfang machte „(Stadt) Land Fluss“, die jüngste Musiktheaterproduktion von Daniel Kötter und Hannes Seidl. Sie macht jeden Besucher zum medial gesteuerten Migranten: mit einem Kopfhörer ausgestattet, aber ohne Sitzplatz und ohne Sicherheit vermittelndes Gepäck („Taschen bitte an der Garderobe abgeben!“) läuft man beim Betreten des Saales zunächst gegen Wände. Doch wie im Rest der medial vermittelten Welt erscheint das mit eigenen Sinnen direkt erfahrbare Labyrinth aus auf Metallrahmen verschraubten Gipsplatten als längst nicht so wichtig, wie die in unregelmäßigen Abständen darauf montierten Smartphones und die Videofilme, die darauf laufen.

Sie zeigen aus vielen verschiedenen Perspektiven eine umzäunte Containerstadt. Den im Hintergrund erkennbaren Elbbrücken nach zu urteilen liegt sie im flussaufwärts erweiterten Hamburger Hafengebiet. Ein unwirtlicher Ort: Das regionaltypische Schmuddelwetter hat den Boden aufgeweicht. Von See her weht eine dermaßen steife Brise, dass mehrere vereinte Manneskräfte es kaum schaffen, eine Plane als Unterstand neben einer hell erleuchteten Bude zu befestigen.

Christina Kubisch hat die Geräusche dieser Containerstadt eingefangen, vor allem die fröhlichen der vielen Kinder. Neben diesen eingespielten Geräuschen hört man mit den elektromagnetischen Kopfhörern auch fließenden Strom, die Lebensader des Digitalen. Und an einigen Stellen auch Reden: Mutmaßlich ein Stadtentwickler träumt von einer Stadt, die an dieser Stelle wachsen soll, rundum lebenswert, multikulturell, lebendig, tolerant. Unausgesprochen bleibt: Raus bist du, wenn du dir ihre Preise nicht leisten kannst. Und die müssen so hoch sein, um den Aufbau eines neuen Containerhafens zu finanzieren.

Die Musik (wir nennen sie so, weil sie in geplanter Weise mit geplanter Wirkung vielgestaltige Klänge in vielgestaltigen Rhythmen bewegt) von Niklas Seidl lässt dabei nur selten an Spannungen denken. Das Hantieren der Musiker Sebastian Berweck, Martin Lorenz, und Andrea Neumann an Plattenspielern, Lautstärkereglern und auf präparierten Klaviersaiten bildet spürbare sinnliche Anziehungspunkte. Auch ihre Aktionen sind elektronisch verstärkt, geformt und vermittelt.

So wandelt man von einer Station zur anderen, von einem akustischen Feld und von einem Video zum nächsten. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, die einem mit auf den Weg gegeben wurde: Wem gehört diese Stadt? Im Bewusstsein, dass man das Ganze, sollte es überhaupt als fassliches Ganzes beabsichtigt sein, allenfalls bruchstückhaft erfassen kann. Doch eine Frage trägt man aus dem Kunstwerk in den Abend und den Rest der Welt: Was ist bei Stromausfall?

DORIS KÖSTERKE