Das jüngste Werkstattkonzert „Happy New Ears“ des Ensemble Modern stellte in der Oper fünf Werke vor, die ihren Schliff im diesjährigen «Composer Seminar» der Lucerne Festival Academy bekommen haben. Für dieses Seminar werden alljährlich acht junge Komponistinnen und Komponisten mit unterschiedlichen kulturellen und ästhetischen Prägungen ausgesucht und von hochrangigen Künstlerpersönlichkeiten mit Blick auf ihre Individualität gefördert.
Verbale Wegweiser
Alle Komponisten dieses Abends wurden bereits mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, obwohl sie zum Teil noch studieren. Die 1996 in Ungarn geborene Abigél Varga etwa steckt gerade mitten in den Proben für das Abschlusskonzert ihres Aufbaustudiums bei Moritz Eggert in München und konnte nicht zur Aufführung ihrer „Dancing Sparrows” (2023) nach Frankfurt kommen. Aber Ensemble-Modern-Flötist Dietmar Wiesner hatte ausführlich mit ihr telefoniert und öffnete mit seinen verbalen Wegweisern trefflich die Ohren.
Abigél Varga
Etwa, indem er seine Ensemblekollegen bat, die verschiedenen Schichten, die sich in diesem Stück überlagern, einmal einzeln zu spielen. Oder wenn er die beiden Geigen zusammenspielen ließ um zu zeigen, dass die zweite Geige einen Viertelton tiefer gestimmt war. Gleiches galt für das Cello gegenüber dem Kontrabass. Das Zusammenspiel ließ dermaßen aufhorchen, dass man sich fragte, ob Vergleichbares in der Folklore nicht sogar gewollt ist.
Bo Huang
Die Komponistin Bo Huang wurde 2001 im chinesischen Hunan geboren. 2013 kam sie in die USA und studiert seitdem an führenden New Yorker Musikhochschulen. Ihr Stück „Transient Splendor: Illusion“ (2023) sei, so erzählte sie, von einer Person in ihrem Umfeld inspiriert, die unterdrückt wurde und sich befreien konnte. Man spürte die großen Aggressionen, vor allem aber ein unglaublich vielfältiges Klangbild mit großer energetischer und dynamischer Bandbreite, in deren stillen Momenten man auch chinesische Zimbeln hören konnte.
Lukas Stamm
Eine lebenspraktische Frage lag „all that is solid melts into air“ (2023) von dem 1994 geborenen Schweizer Lukas Stamm zugrunde: Wie befreit man sich vom Druck zunehmend unerträglicher Verdichtung und Beschleunigung? Mitunter entstand beim Hören das Gefühl, in einem Verkehrs-Chaos zu sein, in dem niemand mehr Ursache und Wirkung durchblickt, aber jeder seinen Nächsten anhupt. Mitunter schien die Musik zu weinen und lichtete sich dann, bis eine Viertonfolge des Geigers Giorgos Panagiotidis frei ins Offene zielte.
Sofia Ouyang
Sofia Ouyang ist eine 2001 geborene US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln. An der New Yorker Columbia-University hat sie parallel Musik und Philosophie studiert. In ihrem „Through us from which language speaks” (2023) geht es um Sprache, die auf das Denken ihrer Sprecher zurückwirkt um Kollektive und Individuen in mal geballten, mal kammermusikalische ausgedünnten Strukturen, um einen gruppendynamischen „Trugschluss“, nach dem es dann doch noch einmal weitergeht.
Kristupas Bubnelis
Für „split seconds, shifting sand …“ (2023) ließ der 1995 geborene Litauer Kristupas Bubnelis die Streicher ihre Instrumente nach dem natürlichen Obertonspektrum stimmen. Im Zusammenspiel mit Instrumenten wie Klavier oder Marimba ergaben sich Schwebungen, die prickelten.
DORIS KÖSTERKE