Auf der Bühne im Kleinen Haus steht ein echter alter Lada. „Steig ein!“, sagt Tschick. „Niemals! Du hast wohl den Arsch offen!“ sagt Maik. Und steigt ein. Das Orchester bestätigt seine Entscheidung mit optimistischen Rhythmen. Unter der Regie von Kirsten Uttendorf hatte am Staatstheater Darmstadt die Jugendoper „Tschick“ Premiere, komponiert von Ludger Vollmer nach einem Libretto von Tiina Hartmann nach dem gleichnamigen Erfolgsroman von Wolfgang Herrndorf.
Die energiereich durch verschiedene Stile parodierende Musik verriet Vollmers Lehrjahre bei Alfred Schnittke und (über Dimitri Terzakis) Bernd Alois Zimmermann. Oft kam sie in mitreißenden Rhythmen daher, manchmal fragte man sich „woher kenne ich das?“, manches klang operettenhaft folkloristisch und manchmal reduzierte sich die Musik auf eine Klangfläche oder schwieg ganz um zu sagen: Achtung, hier ist der Text wichtig.
Das Singen war eher witzig und nur selten sentimental: Etwa in dem Sehnsuchtsliedchen, in dem Tschick sich vor Maik und auch vor sich selbst eingesteht, dass er nicht auf Mädchen gepolt ist.
In einem Prolog nannten die beiden Sängerinnen Lena Sutor-Wernich und Rebekka Reister die Opfer von Hanau bei ihren Namen und skizzierten ihre Persönlichkeiten, ihren bisherigen Lebensweg und ihre nun vereitelten Pläne. „Der einzelne Mensch in seiner Einzigartigkeit steht im Theater im Mittelpunkt“, umrissen sie die politische Botschaft der Oper.
Ihre Protagonisten sind Georg Festl und David Pichlmaier als Tschick und Maik. Sie spielen die beiden Vierzehnjährigen dermaßen knuffig, dass man sich in beide zugleich verlieben möchte. Der Jugendchor des Theaters stellt die Klasse dar, die Tschick und Maik zeigt, dass sie nicht dazugehören. Maik, weil er zu viel nachdenkt, um ganz automatisch so zu sein wie andere. Tschick, weil er andere Ideale hat.
Als Vertreter einer Gesellschaft, in der man eine Plauze vor sich herschiebt, in der sich die zugunsten des Funktionierens unterdrückten Persönlichkeitsanteile manifestieren, agiert Andreas Donner in der Doppelrolle als Lehrer, der seine Schüler mit einigem Sadismus in ein System zwingen will, unter dem er selber leidet. Dann als Jugendrichter, der seine errungene gesellschaftliche Stellung nutzt, um die tatsächlichen Nöte der Jugendlichen zu erkennen und konstruktiv damit umzugehen.
Ganz anders als Maiks Vater, gespielt von Dong-Won Seo als zynischer Unternehmer, der sein berufliches Scheitern den „Öko-Faschisten“ in die Schuhe schiebt und seine Frau (Lena Sutor-Wernich) in eine nur im Suff zu ertragenden Rolle als Luxusweibchen zwingt und seinen Sohn dazu anhält, aus taktischen Gründen vor dem Gericht zu lügen. Als echter Opernheld hält Maik jedoch den Wert seiner Freundschaft zu Tschick höher als den Rat des Vaters und befreit dadurch auch seine Mutter.
DORIS KÖSTERKE
21.02.2020
Weitere Aufführungen: 26. Februar, 1. und 25. April, 24. Mai und 9. Juni. Für lebenshungrige Menschen ab zwölf.